Kunst

Fast wie echte Menschen

Er wirkt unbedarft, geradezu jungenhaft: 1915 porträtierte Amedeo Modigliani seinen etwa zehn Jahre jüngeren Malerkollegen Chaïm Soutine. Die beiden Künstlerfreunde konnten nicht unterschiedlicher sein.

Modigliani stammte aus einer traditionsreichen sefardischen, bürgerlichen Familie. In der toskanischen Hafenstadt Livorno geboren, wuchs er mit der italienischen ebenso wie mit der französischen Sprache auf. Nach seiner Ankunft in Paris im Jahr 1906 hatte Modigliani daher keine Sprachbarriere zu bewältigen. Soutine hingegen entstammte bescheidenen ostjüdischen Verhältnissen. Er wurde 1893 in einem Schtetl bei Minsk geboren, kam 1913 nach Paris und sprach nur schlecht Französisch.

Dennoch freundeten sich beide Künstler an, und das eingangs erwähnte Soutine-Bildnis sollte nicht das letzte bleiben. Modigliani vermittelte Soutine sogar an seinen Galeristen Leopold Zborowski, der für den entscheidenden Karriereschub sorgte.

Auch Zborowski wurde von Modigliani porträtiert: Elegant und selbstbewusst, beinahe gravitätisch erscheint der aus Polen stammende Dichter und Kunsthändler auf dem 1916 entstandenen Gemälde. Beide Bildnisse vermitteln nicht nur einen Eindruck von Modiglianis Gabe, Männer und Frauen in einer frappierenden Anmut und Präsenz ins Bild zu setzen.

Männer und Frauen setzte er in frappierender Anmut und Präsenz ins Bild.

Sie zeugen auch von dem weitreichenden Netzwerk, das Amedeo Modigliani in Paris aufbaute, bevor er 1920 mit nur 35 Jahren an Tuberkulose starb. Jetzt sind die markanten Porträts Teil der umfangreichen Schau Modigliani. Moderne Blicke im Potsdamer Museum Barberini.

Mehr als 50 Arbeiten von Amedeo Modigliani aus den Jahren 1906 bis 1919 werden dort präsentiert. »Man kann von einer Retrospektive sprechen«, so Museumsdirektorin Ortrud Westheider. Überdies sind in Potsdam Gemälde, Grafiken und Skulpturen von 14 weiteren europäischen Zeitgenossen zu sehen.

Die Schau war zuvor in der Stuttgarter Staatsgalerie zu sehen

Modiglianis Künstlerfreundeskreis ist einer von mehreren Schwerpunkten der mit internationalen Leihgaben bestückten Schau, die zuvor in der Stuttgarter Staatsgalerie gezeigt wurde. Unter anderem möchten die Kuratorinnen und Kuratoren Modiglianis Frauendarstellungen einer neuen Bewertung unterziehen.

Mehrere Aktgemälde aus den Jahren 1916 bis 1918 zeigen anmutige, selbstbewusste, ihrer Individualität keineswegs beraubte Frauen. Im Gegenteil: »Das ist kein Akt mehr. Das sind echte Menschen«, betont Christiane Lange, Direktorin der Staatsgalerie Stuttgart. Akte von Pablo Picasso, Auguste Rodin, Egon Schiele sowie weiteren Künstlerinnen und Künstlern rücken Modiglianis modernen, laut Lange »gleichberechtigten« Blick in den Kontext.

Ebenso ausdrucksstark sind seine Frauenporträts: Melancholisch und desillusioniert wirkt etwa das »Mädchen mit einer gestreiften Bluse« von 1917. Ihre Distanziertheit und nicht zuletzt ihr Bubikopf-Look mit Krawatte nehmen die selbstbewusste »Neue Frau« der 1920er-Jahre vorweg. Nicht minder kühl, aber auch entschlossen und tough blickt Hélène Joséphine Bernier Povolozky den Betrachter an. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem Galeristen und Buchhändler Jacques Povolozky, förderte sie unter anderem auch Soutine und Modigliani, der sie 1917 malte.

Von der Suche nach einer eigenen künstlerischen Sprache zeugt unterdessen Modiglianis Gemälde »La Juive« (Die Jüdin) von 1907/08. Es lässt an Picassos »Blaue Periode« denken, während der aus diversen Inspirationen schöpfende, schwungvoll-abstrahierte Stil, der Modiglianis spätere Porträts auf Anhieb wiedererkennbar macht, sich noch nicht abzeichnet.

Das Gemälde »Ja Juive« (Die Jüdin) lässt an Picassos »Blaue Periode« denken.

Durch die bläulich-violett-grünliche Farbpalette wirkt dieses Porträt kühl, einzig die roten Lippen setzen einen deutlich wahrnehmbaren farbigen Kontrast. Bemerkenswert ist der Titel, der offen auf die Herkunft der porträtierten Frau verweist.

Kosmopolitisches Netzwerk der »École de Paris«

Dass in der Pariser Kunstszene der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts viele jüdische Künstlerinnen und Künstler anzutreffen waren, demonstrierte das Jüdische Museum Berlin im vergangenen Jahr mit der Schau Paris Magnétique. 1905–1940. Eindrücklich illustrierte sie den großen Anteil jüdischer Künstler am Aufbruch in die Moderne.

Auch Modiglianis Porträts zeugen von dem kosmopolitischen Netzwerk der »École de Paris«. Im Museum Barberini begegnet man etwa seinen Bildnissen des Malers Moïse Kisling und von dessen Frau Renée, ebenso porträtierte Modigliani Jacques und Berthe Lipchitz sowie den Maler Pinchus Krémègne. Mit dem Expressionisten Ludwig Meidner verband ihn ein Briefwechsel, der im Ausstellungskatalog dokumentiert wird.

So erscheint die Betitelung des frühen Frauenbildnisses ebenso folgerichtig wie Amedeo Modiglianis zahlreiche Freundschaften mit jüdischen Kolleginnen und Kollegen. Zeitlebens stand Modigliani zu seiner Herkunft. Er soll sich mit den Worten vorgestellt haben: »Mein Name ist Modigliani. Ich bin Jude.«

Die Ausstellung im Museum Barberini in Potsdam ist noch bis zum 18. August zu sehen.

Antisemitismus

Gert Rosenthal: »Würde nicht mit Kippa durch Neukölln laufen«

Die Bedrohung durch Antisemitismus belastet viele Jüdinnen und Juden. Auch Gert Rosenthal sieht die Situation kritisch - und erläutert, welche Rolle sein Vater, der Entertainer Hans Rosenthal, heute spielen würde

 01.04.2025

Berlin

Hans Rosenthal entdeckte Show-Ideen in Fabriken

Zum 100. Geburtstag des jüdischen Entertainers erzählen seine Kinder über die Pläne, die er vor seinem Tod noch hatte. Ein »Dalli Dalli«-Nachfolger lag schon in der Schublade

von Christof Bock  01.04.2025

Künstliches Comeback

Deutschlandfunk lässt Hans Rosenthal wiederaufleben

Der Moderator ist bereits 1987 verstorben, doch nun soll seine Stimme wieder im Radio erklingen – dank KI

 01.04.2025

Interview

Günther Jauch: »Hans Rosenthal war ein Idol meiner Kindheit«

Der TV-Moderator über den legendären jüdischen Showmaster und seinen eigenen Auftritt bei »Dalli Dalli« vor 42 Jahren

von Michael Thaidigsmann  01.04.2025

Jubiläum

Immer auf dem Sprung

Der Mann flitzte förmlich zu schmissigen Big-Band-Klängen auf die Bühne. »Tempo ist unsere Devise«, so Hans Rosenthal bei der Premiere von »Dalli Dalli«. Das TV-Ratespiel bleibt nicht sein einziges Vermächtnis

von Joachim Heinz  01.04.2025

TV-Legende

Rosenthal-Spielfilm: Vom versteckten Juden zum Publikumsliebling

»Zwei Leben in Deutschland«, so der Titel seiner Autobiografie, hat Hans Rosenthal gelebt: Als von den Nazis verfolgter Jude und später als erfolgreicher Showmaster. Ein Spielfilm spürt diesem Zwiespalt nun gekonnt nach

von Katharina Zeckau  01.04.2025

Geschichte

»Der ist auch a Jid«

Vor 54 Jahren lief Hans Rosenthals »Dalli Dalli« zum ersten Mal im Fernsehen. Unser Autor erinnert sich daran, wie wichtig die Sendung für die junge Bundesrepublik und deutsche Juden war

von Lorenz S. Beckhardt  01.04.2025 Aktualisiert

Hans Rosenthal

»Zunächst wurde er von den Deutschen verfolgt - dann bejubelt«

Er überlebte den Holocaust als versteckter Jude, als Quizmaster liebte ihn Deutschland: Hans Rosenthal. Seine Kinder sprechen über sein Vermächtnis und die Erinnerung an ihren Vater

von Katharina Zeckau  01.04.2025

TV-Spielfilm

ARD dreht prominent besetztes Dokudrama zu Nürnberger Prozessen

Nazi-Kriegsverbrecher und Holocaust-Überlebende in einem weltbewegenden Prozess: Zum 80. Jahrestag dreht die ARD ein Drama über die Nürnberger Prozesse - aus der Sicht zweier junger Überlebender

 01.04.2025