Es ist eine im wahrsten Sinne des Wortes brennende Frage: Israels künftige Energiesicherheit. Im politisch destabilisierten Nachbarland Ägypten wurden bereits mehrfach Pipelines in die Luft gesprengt, die Israel mit Erdgas versorgen sollten. Auch andere öl- und gasreiche Nachbarn sind dem jüdischen Staat nicht unbedingt wohlgesonnen. Daher wurde in Israels politischer Elite schon seit einigen Jahren über den Aus- bau der Kernkraft diskutiert. Doch die Kernschmelze im japanischen Atommeiler Fukushima, ausgelöst durch ein Erdbeben, machte den israelischen AKW-Plänen einen Strich durch die Rechnung. Premierminister Benjamin Netanjahu versicherte, man werde in naher Zukunft keine Atomkraftwerke bauen. Denn auch Israel liegt in einem Erdbebengebiet – die nächste große Erschütterung ist nur eine Frage der Zeit.
Derzeit werden mehr als zwei Drittel des israelischen Energiebedarfs aus Kohle erzeugt. Doch auch Kohlekraftwerke sind weder besonders umweltfreundlich noch der Gesundheit ihrer Anwohner zuträglich. Worüber Israel jedoch im Überfluss verfügt, ist Sonnenschein. So liegt eigentlich nichts näher, als die Solarenergie im kleinen Wüstenstaat auszubauen. Zahlreiche Bürogebäude sind auch bereits mit Solardächern ausgestattet. Das Problem ist nur: Solche gebäudeintegrierten Anlagen sehen weder besonders ästhetisch aus noch sind sie sehr ergiebig.
durchsichtig Hier springt nun die Firma Pythagoras Solar in die Bresche. Das israelische Start-up hat das erste durchsichtige Fotovoltaik-Glas der Welt entwickelt. Es handelt sich dabei um Glas mit integrierten Solarzellen. Das heißt, das Material lässt sich ganz einfach als Fensterglas in bestehende Gebäude einbauen und fungiert gleichzeitig als Solaranlage zur Stromgewinnung. Ästhetisch ist das schon mal ein Gewinn: Man sieht die Anlage praktisch nicht. Gonen Fink, Geschäftsführer von Pythagoras Solar, verspricht aber auch eine viermal höhere Energieausbeute als bei herkömmlichen gebäudeintegrierten Fotovoltaik-Anlagen.
Ausprobiert wurde das ganze im vergangenen Jahr an mehreren Bürogebäuden in Israel und den USA – darunter der Sears Tower in Chicago. Bald soll das Solarfenster in Serie gehen. »Wir verhandeln mit einigen der weltgrößten Glashersteller«, sagt Gonen Fink. Amerikanische und chinesische Kooperationspartner wurden auch schon gefunden.
klima Es ist kein Zufall, dass dieses Solarfenster gerade in Israel erfunden wurde. Das heiße Klima macht vor allem Büroangestellten zu schaffen. »Wir wollen bei Tageslicht arbeiten, aber dann heizen sich die Räume zu sehr auf«, erklärt Fink. Also wird die Klimaanlage aufgedreht. Die kostet wiederum Strom und Geld. »Die Alternative ist, die Bürofenster mit Vorhängen oder Jalousien abzudunkeln, doch dann benötigt man künstliches Licht, das auch wieder Strom verbraucht«, so Fink weiter. Mit dem neuen Solarfenster lasse sich nun der Strom für die Klimaanlage selbst erzeugen – völlig umweltfreundlich und kostenneutral, wie Fink und seine Mitarbeiter versichern.
Bislang ist das israelische Solarfenster allerdings nur für Bürogebäude geeignet. »Privathäuser und -wohnungen haben einfach zu wenig Fensterfläche, um genügend Energieausbeute zu gewährleisten«, erklärt Fink. Aber die größten Energieverbraucher seien ohnehin Bürotürme und öffentliche Gebäude. Und einmal installiert, verspricht Fink, habe sich das durchsichtige Kraftwerk nach etwa fünf Jahren amortisiert.
Die Gründer von Pythagoras Solar sind jedenfalls keine Scharlatane. Gonen Fink machte zuvor das Start-up »Check Point Software Technologies« zum internationalen Marktführer in punkto Internetsicherheit. Und sein Mitgründer und technischer Leiter Itay Baruchi war zuvor Hirn- forscher an der Universität Tel Aviv. Baruchis Forschungen zu künstlichen neuronalen Netzwerken wurden 2007 von der Zeitschrift »Scientific American« zu den »50 bedeutendsten wissenschaftlichen Durchbrüchen« gezählt.
Im selben Jahr hoben er und Fink Pythagoras Solar aus der Taufe. Mit vereinter unternehmerischer und wissenschaftlicher Kraft zielen sie nun auf den globalen Markt für grüne Energie. Ein lohnendes Feld: Marktforscher sagen voraus, dass der Markt für gebäudeintegrierte Fotovoltaik bis 2015 auf acht Milliarden Dollar anwachsen wird. Nicht nur die durch das AKW-Unglück im Nachbarland Japan aufgeschreckten Chinesen sind an der neuen Technologie interessiert, auch die USA sind mit im Boot – die Produktionsstätten von Pythagoras Solar befinden sich im kalifornischen Silicon Valley. Und auch für Deutschland, das sich wegen seines übereilten und schlecht geplanten Atomausstiegs nach neuen Energiequellen umsehen muss, dürfte die neue Technologie von Interesse sein. Die Schwierigkeit besteht nur darin, dass hierzulande wesentlich seltener die Sonne scheint als im diesbezüglich verwöhnten Israel.