Sie hatte den Stern schon bemerkt, wandte ihren Blick ab und schien erschrocken; er schien ihr sogar Angst zu machen. Sie packte meine Hand.» Die Mutter zerrt Bernd Wollschlaeger von dem unheilvollen Symbol weg, da war er neun. Im Gegensatz zu ihrer Panik war der Junge vom Anblick des Davidsterns fasziniert, den er durch Zufall auf dem Weg zum Zahnarzt erblickte. Man muss den Vorfall schon schicksalhaft nennen, liest man Wollschlaegers Lebensweg, auf dem er zum jüdischen Glauben fand und nach Israel auswanderte.
In Bamberg wird Wollschlager 1958 geboren. Der Vater ist stolz auf seine Vergangenheit als Panzerkommandant in der Wehrmacht und seine Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz. Seine Haltung changiert zwischen der Behauptung, vom NS-Vernichtungsfeldzug nichts gewusst zu haben, und offener Schoa-Leugnung. Außer Anekdoten vom Militär kommt ihm ohnehin nicht viel von «früher» über die Lippen.
Schweigen Auch die liebevolle Mutter umgibt eine Aura des Schweigens, so als ob sie, je nach Betrachter, ein dunkles oder ein leuchtendes Familiengeheimnis hütete. Gewissheit wird er nie bekommen, doch ahnt Wollschlaeger, dass die Mutter selbst verleugnete jüdische Wurzeln hat.
Seinem antisemitischen Vater zum Trotz fühlt er sich schon in jungen Jahren zum Judentum hingezogen. Sind es anfangs eher Schuld- und Verantwortungsgefühl, die sein Interesse motivieren, so zieht ihn mehr und mehr der jüdische Glaube selbst an – bis der nicht praktizierende Katholik vom Rabbinatsgericht als Ger Zedek, als rechtmäßiger Konvertit, angenommen wird.
In einfachen Worten beschreibt Wollschlaeger seine verblüffende Geschichte. Immer wieder reflektiert er in der Rückschau sein Handeln und Tun, sodass der Leser interessante Innenansichten eines Suchenden erfährt. Auf diese Weise gelingt dem heute in den USA Lebenden neben der Auseinandersetzung – für eine Abrechnung sind seine Worte zwar deutlich, aber zu gefühlig – mit seinem Vater eine fesselnde autobiografische Lektüre. Dadurch trägt das Buch Züge eines Bildungsromans, sieht man doch einem Menschen bei der inneren Reifung zu.
Gerade aufgrund der simplen Sprache verschlingt man als Leser die Seiten, will wissen, wohin das Schicksal Wollschlaeger als Nächstes verschlägt – bis man auf die letzte Seite kommt, wo er das Kaddisch am Grab seiner Eltern rezitiert und einen Stein aus Jerusalem darauf legt.
Bernd Wollschlaeger: «Ich bin Jude aus dem Herzen. Wie ich die Nazi-Vergangenheit meines Vaters bewältigte». Europa, München 2017, 272 S., 18,90 €