Wer uns beim Schach-, Skat-, Tarock-, Billard- oder Pokerspiel über die Schulter sieht und ungebetene Ratschläge gibt, ist ein »Kiebitz«. Das Wort gibt es nicht nur im deutschen Sprachraum. Jo Swerlings Komödie The Kibitzer machte 1929 den Begriff und den Hauptdarsteller Edward G. Robinson über Nacht bekannt.
»Kiebitzende« Zuschauer gibt es seit gut 150 Jahren. 1855 sprach die Wiener Schachzeitung von einer »gaffenden Menge von Kibitzen«. Später galt der Begriff auch beim Skatspiel: Das zeigt die Schrift des Kulturhistorikers Eugen Isolani (d.i. Eugen Isaacsohn): Beim Kibitzen: Lustige SKATologische Betrachtungen (1888).
Auch in der Literatur war und ist das Substantiv »Ki(e)bitz« und das Verb »ki(e)bitzen« verbreitet. Bei Fritz Mauthner (Aus dem Märchenbuch der Wahrheit, 1896) sitzen Napoleon, Schopenhauer und Helena am Skattisch: »Helena liebte es, mit wenigstens zwei Männern zu spielen. Hinter ihr gab es immer eine Schar von Kibitzen, die ihr in die Karten guckten.«
Egon Friedell, für den von Menschen erdachte Spiele »langweilige Gehirnfunktionen« waren, bemerkt in Ecce poeta (1912): »Man kann stundenlang zusehen, wenn junge Hunde oder irgendwelche andere Tiere miteinander spielen, aber man muss schon ziemlich von Gott verlassen sein, um bei einer Partie Billard oder Skat stundenlang kiebitzen zu können.«
vogelkunde Eigentlich ist der Kiebitz ein Vogel. Der Ursprung des Wortes wurde und wird deshalb oft ornithologisch hergeleitet. Ein Autor schrieb 1937, in Holstein habe man jeden Barbier »Kiebitz« genannt, »weil er morgens immer eilig von einem Kunden zum andern läuft«. Ein anderer setzte 1982 den Vogelnamen und eine sächsische Variante »Stiebitz« als Wurzel der Wörter »stibizen« und »kiebitzen« an.
Grüner und Sedlaczek beriefen sich noch 2012 im Lexikon der Sprachirrtümer Österreichs auf das Grimmsche Wörterbuch mit der Kiebitz-Bezeichnung für »die österreichischen Ordonnanzoffiziere, die wie der Vogel aufgeregt hin und her schwirren« und übertrugen sie auf die Spieltischaktion.
Diese wie andere vogelkundliche Deutungen sind allerdings falsch. Näher an der Wahrheit war Ludwig Göhrings etymologische Herleitung in seiner Arbeit über Volkstümliche Redensarten und Ausdrücke (1937). Er verortete den Ursprung im Jiddischen: »Es ist, da Kartenspielen eine Lieblingserholung der Israeliten ist, anzunehmen, dass der Ausdruck auf das Jiddische zurückgeht, auf ›Kippe‹ = gemeinschaftlicher Handel (Hakibbes). Kippe machen, kippe sein bedeuten: etwas gemeinsam unternehmen. Der Spieler und der Kibitz spielten wohl oft – stillschweigend – auf gemeinschaftlichen Gewinn und Verlust.«
polizei Für diese Interpretation spräche auch eine Szene in Edgar Hilsenraths Roman Nacht (1964): »Eine kleine Gruppe spielte Poker. Wer gewann, gab gewöhnlich etwas an seinen Kiebitz ab.« Eine andere Erklärung findet sich bei A. J. Storfer (Im Dickicht der Sprache, 1937). Dort liest man, dass sich der »Kiebitz«, wie der Wiener Ausdruck »Kiberer« für Polizisten, von den seit dem 19. Jahrhundert üblichen Rotwelsch-Formen »Kiewisch« beziehungsweise »kiewischen/ kibitschen« herleitet.
Diese könnten dem jiddischen »koiwesch sein« für bezwingen/bedrücken angelehnt sein; sie standen für obrigkeitliche Prüfung, ärztliche Untersuchung von Prostituierten und die gegenseitige Visitation der Gauner, damit niemand einen Beuteanteil unterschlug.
Inzwischen hat sich das Wort vor allem in Österreich umgangssprachlich vom Kartenspiel gelöst. So war im Jahresrückblick 2012 der Wiener Zeitung Der Standard zu lesen: »Blicken wir nach vorn und kiebitzen mal, worauf wir uns 2013 so freuen dürfen.«