Tel Aviv, abseits des Zentrums mit seinen Touristenattraktionen. Im Yafa Bookstore and Coffee House in der Yehuda-Margoza-Straße stehen ein paar Jungs Anfang 20 herum, trinken palästinensisches Taybeh-Bier und wippen ungeduldig mit den Füßen. Ein weißer Daewoo fährt vor. Die jungen Männer springen auf, zerren einen Kontrabass und dessen Besitzer aus dem Auto. »Jallah, Nadav, komm schon spielen!« Einer gibt den Rhythmus vor, man einigt sich auf die Tonart und es geht los. Stunde um Stunde spielen die jungen Musiker und strahlen das pure Vergnügen aus. Es kümmert sie nicht, dass ihr Publikum aus nur acht Zuhörern besteht, die Hälfte davon Freunde und Kollegen.
minderheitenmusik Jazz und Israel: Das passt eigentlich gut zusammen, meint Amit Golan, der am renommierten Israel Conservatory of Music Tel Aviv die »Stricker«-Jazzabteilung leitet. Im »Kibbuz Galujot«, dem Schmelztiegel von Immigranten aus aller Welt, seien wilder Diskurs und Auseinandersetzung mit anderen tägliches Brot. Dem entsprächen die wesentlichen Elemente des Jazz: die Freiheit beim Improvisieren, die Demokratie beim gemeinsamen Spiel und der Raum des Einzelnen beim Solo. Aufgewachsen im Tempo des angespannten Alltags in Israel, mit dem Zwang zur ständigen Konfliktbereitschaft, sei es mit Busfahrern, Obstverkäufern oder der jiddischer Mamme, finde sich der Israeli im Jazz fast als Muttersprachler wieder. Auch den souligen Ausdruck von Gefühlen und die Melancholie des Blues, Reflex der leidgeprüften afro-amerikanischen Wurzeln des Jazz, könne die jüdische Seele gut nachempfinden.
Dennoch ist Jazz in Israel eine ausgesprochene Minderheitenmusik, die kaum über ihre eigenen Kreise hinausstrahlt. Das spiegelt sich auch in den minimalen Gagen wider, die selbst Topjazzer für ihre Gigs erhalten. Sie spielen in Bars, Cafés und bei privaten Events, selten in großen Sälen. Das zu ändern, versucht seit 2001 das »Stricker«-Zentrum für Jazzstudien. Gegründet wurde es damals von israelischen Jazzern, die in den USA gespielt hatten und nach der Heimkehr ihr Können weitergeben wollten. Inzwischen hat das Zentrum, an dem jährlich rund 20 Studenten ausgebildet werden, einen so guten Ruf, dass seine Absolventen dank eines Kooperationsabkommens ihr Studium an der renommierten New School for Jazz and Contemporary Music in New York fortsetzen können.
ethnofusion Dort kommt es dann oft zu einem interessanten Phänomen. Während bei der Ankunft in New York der Fokus meist noch auf dem »puren« Jazz liegt, besinnen sich viele israelische Musiker im Ausland auf ihre Wurzeln. Melodien und Rhythmen aus dem Jemen, Lateinamerika, Mitteleuropa oder dem Kaukasus werden in den Jazz eingeflochten. So widmete sich der Bassist Omer Avital dem Studium des Oud sowie der klassischen arabischen Musik und folgte damit den vertrauten Tönen seines Elternhauses. »Es ist ein Teil des Prozesses, zu verstehen, wer ich bin«, sagte er 2008 dem Fachblatt Jazz Times. Auch Avitals Kollege Avishai Cohen begleitet seinen Bass im Geiste seiner Mutter mit weichem Ladinogesang. Der Pianist Omri Mor verknüpft bei seinem Andaloujazz Projekt Jazz mit Melodien aus Marokko, der Heimat seiner Familie. Und der orthodox-jüdische Saxofonist Daniel Zamir, bekannt durch seine groovigen Interpretationen jüdischer Spiritualität, hat sogar diesen Sommer eine eigene religiöse Musikschule namens Mizmor eröffnet.
Bei manchen israelischen Jazzern stößt der Trend zur Ethnofusion-Musik allerdings auf Skepsis. »Falafel-Jazz« nennt Erez Bar-Noy sie ironisch. Der Saxofonist setzt lieber auf Tradition, wenn er in der Jazzbar Shab-lul am Hafen von Tel Aviv mit seinen Schülern übt. Rund zwanzig Teenager, alle um die 15 Jahre alt, zeigen ein verblüffendes Repertoire und technisches Können. Der strenge Konservatismus ihres Lehrers trägt Früchte. So muss es auch sein, meint der Bassist Avri Borochov: »Um Free und Contemporary Jazz zu spielen und Neues entwickeln zu können, ist es wesentlich, die Wurzeln des Jazz zu kennen und zu verstehen. Je weiter ich in die frühen Formen eintauche, desto mehr erhalte ich eine Vision für die Zukunft des Jazz.«