Es gibt zwei Kapitalverbrechen in der jüngeren Münchner Geschichte, die noch Jahrzehnte später nicht wirklich aufgeklärt sind. Beim dem einen handelt es sich um das Bomben-Attentat vom 26. September 1980 am Haupteingang zum Oktoberfest. Zumindest der rechtsradikale Hintergrund des Attentäters, der bei dem Terroranschlag selbst zu Tode kam, steht fest.
Der andere Fall ist der Brandanschlag auf das Jüdische Gemeindehaus vom 13. Februar 1970, dem sieben jüdische Senioren, die dort untergebracht waren, zum Opfer fielen.
Drei Tage zuvor war am Münchner Flughafen ein Anschlag auf Passagiere einer EL-AL-Maschine verübt worden
Zunächst recherchierten die Ermittler einerseits in Richtung Rechtsterrorismus, andererseits suchte man nach palästinensischen Attentätern. Denn gerade einmal drei Tage zuvor, am 10. Februar 1970, war am Münchner Flughafen ein Anschlag auf Passagiere einer EL-AL-Maschine nach Tel Aviv verübt worden, mit einem Todesopfer und mehreren, teilweise schwer verletzten Personen. Trotz 100.000 D-Mark Belohnung kamen keine wirklich sachdienlichen Erkenntnisse zusammen, nur der Verdacht, dass es eine linksradikale Münchner Zelle der sogenannten Tupamaros West-Berlin, denen man den missglückten Bombenanschlag vom 9. November 1969 im Jüdischen Gemeindehaus in Berlin zuschrieb, gewesen sein könnte.
Der Politologe Wolfgang Kraushaar veröffentlichte dazu 2013 eine wichtige Studie unter dem Titel Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel? München 1970: über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus. Vier Jahre, nachdem die Bundesanwaltschaft nochmals Nachermittlungen aufgenommen hatte, wurden diese 2017 endgültig eingestellt.
Der Kabarettist Christian Springer griff den Fall 2019 – kurz vor dem 50. Jahrestag – erneut auf und stellte einen Videoappell an Täter, Mitwisser und Sympathisanten ins Netz. Er hoffte auf ein schlechtes Gewissen. Vergeblich, obwohl doch jemand noch leben könnte, der etwas über den Brandanschlag auf das Treppenhaus und den Mord an zwei jüdischen Frauen und fünf jüdischen Männern weiß.
Der Münchner Krimiautor Christof Weigold, der historische Stoffe für seine Kriminalromane bevorzugt, entwickelte aus seiner intensiven Recherche zum Brandanschlag vom Freitagabend des 13. Februar 1970, kurz vor 21 Uhr, der bis heute voller Mutmaßungen und jeder Menge ungeklärter Fragen steckt, einen spannenden Romanplot, in dem Fakten und Fiktion eine schlüssige Symbiose eingehen. Es ist der erste Band einer neuen Serie.
Ein Thriller spricht seine Leserschaft an, wenn ein sympathischer Ermittler mit Unwägbarkeiten und Köstlichkeiten des Lebens konfrontiert ist
Der Tod einer betagten Buchhändlerin, die ihr Wissen nicht mehr an den Fallanalytiker Felix Petry weitergeben kann, führt den Polizeimitarbeiter zu einer Suche durch München: bedroht von Neonazis, belogen von einer linken WG, ausgebremst von seinen Vorgesetzten und traumatisiert vom Verlust seiner jüdischen Freundin, die eines Morgens einfach tot neben ihm im Bett lag. Was Petry guttut, ist quer zu denken, was einmal ein schlüssiger Begriff für unkonventionelle Gedankenwege war. Nicht zu vergessen der Seelen- und Magenbalsam, nämlich die gute Küche im Spezialitätenrestaurant, das seine Mutter mit ihrem jüdischen Lebensgefährten betreibt. Ein Thriller spricht seine Leserschaft nämlich umso mehr an, wenn ein sympathischer Ermittler mit Unwägbarkeiten und Köstlichkeiten des Lebens, zusätzlich zu Sex and Crime, konfrontiert ist.
Ganz beiläufig bekommt man übrigens auch noch eine ordentliche Portion deutsch-jüdischer Geschichte mit, missglückter Vergangenheitsbewältigung unter Rechten, Linken und denen dazwischen, die sich für aufrechte Demokraten halten. Weigold schockierte, wie er im Nachwort ausführt, »dass ein solch grausames Verbrechen in der Öffentlichkeit weitgehend vergessen ist«. Und auch er hofft: »Es braucht nur einen Menschen, der sein Schweigen bricht.«
Christof Weigold: »Das brennende Gewissen. Petry ermittelt«. Roman. Kampa, Zürich 2024, 377 S., 18,90 €