Einen israelischen Gewinner bei den internationalen Filmfestspielen Berlin gab es zuletzt 2007, als Joseph Cedar mit seinem Liba-nonkriegsdrama Beaufort den Silbernen Bären für die beste Regie bekam. Ein Jahr später konnte Amos Kollek mit Restless im Wettbewerb nicht überzeugen. Jetzt ist bei der 61. Berlinale vom 10. bis 20. Februar wieder ein Film aus dem jüdischen Staat im Rennen: Jonathan Sagalls Lipstikka hat kommenden Donnerstag in Berlin seine Weltpremiere.
Die Geschichte zweier palästinensischer Mädchen aus Ramallah, die bei einem heimlichen Ausflug nach Ostjerusalem eine traumatische Begegnung mit israelischen Soldaten haben, ist in Israel umstritten. Weil in einer PR-Broschüre Parallelen zwischen der Besatzung und der Schoa gezogen wurden, fror der staatliche »Israel Film Fund« auf Geheiß der Likud-Kulturministerin die finanzielle Förderung ein.
familientragödien Aber nicht nur im Wettbewerb ist der israelische Spielfilm auf dieser Berlinale vertreten, nach mehreren Jahren, in denen Dokumentationen aus dem jüdischen Staat dominierten. Unter anderem sind drei gut gemachte »Problemfilme« zu sehen. Das Genre gehört zu den bewährten Exportschlagern des israelischen Kinos. Lo Roim Alaich (englischer Titel »Invisible« – Unsichtbar) von Michal Aviad in der Sektion Panorama erzählt die Geschichte zweier Frauen, die sich in der Friedensbewegung engagieren und überraschend eine Gemeinsamkeit feststellen: Vor 20 Jahren wurden sie vom gleichen Serienvergewaltiger missbraucht. Mit den Stars Ronit Elkabetz und Evgenia Dodina in den Hauptrollen zeigt die Regisseurin die Vielschichtigkeit von Gewalterfahrung in Israel – nur wenige Monate nach der Verurteilung des früheren Präsidenten Moshe Katsav wegen Vergewaltigung.
Eine Hauptrolle spielt Ronit Elkabetz auch als labile Mutter in Mabul (Flut) von Guy Nattiv im Jugendprogramm »Generation«. Die Rückkehr des autistischen Sohnes, der bisher in einem Heim lebte, gefährdet die ohnehin problematische Ehe mit ihrem pausenlos bekifften Mann.
Der einzige »Erwachsene« in der Familie ist der 13-jährige Yoni, der sich inmitten des heimischen Chaos’ auf seine Barmizwa vorbereiten muss und im Gegensatz zu den Eltern seinen autistischen Bruder annimmt. 2002 hatte Nattiv für einen gleichnamigen Kurzfilm den Gläsernen Bären der Berlinale erhalten. Ebenfalls in der Sektion Generation führt die Verfilmung von David Grossmans Roman HaDikduk HaPnimi (Der Kindheitserfinder) ins Israel der 50er-Jahre zurück. Regisseur Nir Bergman erzählt die Geschichte des sensiblen Aaron, dessen Eltern den Holocaust überlebten und der nicht erwachsen werden will.
playboy Mit seiner neuen Doku The Queen has no crown über seine eigene komplexe Familiengeschichte ist auch der Regisseur Tomer Heyman, seit Jahren Stammgast der Berlinale, im Panorama vertreten. Um den Goldenen Bären für den besten Kurzfilm bewirbt sich Susya von Dani Rosenberg und Yoav Gross: Zwei Palästinenser betreten nach 25 Jahren das erste Mal wieder ihr Heimatdorf, das zu einer israelischen Ausgrabungsstätte geworden ist.
Highlight unter den Produktionen mit jüdischer Thematik ist ausgerechnet ein Friedhofsfilm: Im Himmel, unter der Erde. Der Jüdische Friedhof Weißensee von Britta Wauer handelt aber mehr vom Leben als vom Tod. Der Film besticht durch spritzige Interviews mit Anwohnern, einem Sargtischler, Mitgliedern der jüdischen Gemeinde zu Berlin und durch seine originelle musikalische Untermalung.
In The Big Eden von Peter Dörfler wird – ebenfalls im Panorama – die Lebensgeschichte des Berliner Playboys Rolf Eden nachgezeichnet, der stolz darauf ist, sieben Kinder mit sieben verschiedenen Frauen gezeugt zu haben. Der Regisseur begleitet den 81-Jährigen nach Haifa, wo er aufwuchs, nach Paris und durch Berlin. Zu Wort kommen auch Zeitgenossen, wie Edens Freund, der Schriftsteller Yoram Kaniuk. In der Dokumentation Khodorkovsky schildert Cyril Tuschi Aufstieg und Fall des Oligarchen, der auf Druck des Kremls wegen angeblichen Öldiebstahls bis 2017 in Haft sitzen muss. Vergangene Woche wurde die 111-minütige Endfassung aus Tuschis Produktionsräumen gestohlen; eine Kopie war zum Glück schon bei den Festspielen hinterlegt.
Mit der Berlinale-Kamera wird die Gründerin des Jerusalem Film Festival, Lia van Leer, geehrt. Mehrere Israelis sind in diesem Jahr auch in den Jurys vertreten: Der Schriftsteller Assaf Gavron und die Regisseurin Michèle Ohayon entscheiden mit über den besten Erstlingsfilm. In der Internationalen Kurzfilmjury sitzt Renen Schorr, Gründer und Direktor der renommierten Sam Spiegel Film and Television School Jerusalem.
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