Auf dem Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik in Berlin Wittenau hat vergangenen Freitag die Ausstellung »Doppelt stigmatisiert – Schicksale jüdischer Psychiatriepatienten in Berliner Heil- und Pflegeanstalten unter dem NS-Regime« eröffnet. Sie findet im Rahmen des Berliner Themenjahres »Zerstörte Vielfalt« statt.
Eingeleitet wurde die Ausstellungseröffnung mit einem umfangreichen psychiatriehistorischem Kolloquium, bei dem die Geschichte der Berliner Heil- und Pflegeanstalten, die Verfolgung jüdischer Ärzte und Ärztinnen sowie die Rolle von Zwangsarbeitern im medizinischen Betrieb beleuchtet wurden – Themen, die erst seit wenigen Jahren in den Fokus der Forschung gerückt sind.
geheimbefehl Annette Hinz-Wessels ist die Kuratorin der Ausstellung und eine der gefragtesten Expertinnen zum Thema Euthanasie und »Rassenhygiene« im Dritten Reich. Zusammen mit ihren Kollegen hat sie eine bisher einmalige Sammlung zusammengetragen, die ein eindringliches und oft schockierendes Bild von der Rolle der Berliner Heilstätten im Vernichtungsfeldzug der Nazis gegen Europas Juden zeichnet. Chronologisch erzählt die Ausstellung anhand von Schautafeln und Originalfilmaufnahmen aus der Propagandamaschinerie der Nazis, wie jüdische Patienten bis Sommer 1941 in das Euthanasieprogramm »T4« der Nazis miteinbezogen waren, bevor sie dann von den Psychiatrien aus direkt in die Vernichtungslager Europas, manche auch »nur« in das Ghetto Theresienstadt deportiert wurden.
»Leider enthalten die Akten relativ wenige Selbstzeugnisse, wie Briefe oder Tagebücher«, bedauert Hinz-Wessels. Jedoch ließe sich auch aus dem oft antisemitischen Blickwinkel der Ärzte und Pfleger vieles rekonstruieren. Zu den Exponaten zählt auch ein Geheimbefehl Hitlers, der Ärzte autorisierte, Tötungen durchzuführen. Ein Gesetz, das »Euthanasie« legitimiert hätte, gab es nie. Die Ermordung von Behinderten und psychisch Kranken wäre selbst mit dem geltenden Recht im NS-Staat nicht vereinbar gewesen.
krankenakten Viktor Brack, einer der Hauptverantwortlichen für die Ermordungsaktion »T4«, leugnete als Angeklagter im Nürnberger Ärzteprozess 1946/47, dass Juden in das Euthanasieprogramm überhaupt miteinbezogen gewesen seien – mit der Begründung, man habe ihnen diese »Wohltat« nicht »vergönnt«. Die Ausstellung widerlegt diese Lüge. Der Besucher kann an einem Computer Originalkrankenakten sichten.
Dabei erkennt man, wie perfide die Ermordung jüdischer Patienten vonstatten ging. So wurde deren Angehörigen häufig mitgeteilt, ihre Verwandten seien in eine zentrale Klinik nach Cholm verlegt worden. In Wahrheit waren sie bereits ermordet worden und kamen nie in Cholm an, von wo aus dann Monate später Todesbenachrichtigungen an die Hinterbliebenen geschickt wurden. In der Zwischenzeit ließ man die Familien weiterhin die Pflegegebühren für ihre längst toten Verwandten bezahlen.
»Doppelt stigmatisiert«. Bis 10. November im Vivantes Netzwerk für Gesundheit Berlin. www.totgeschwiegen.org