Herr Aharoni, Sie haben gemeinsam mit dem Küchenchef vom The Ritz Carlton Berlin, Martin Lisson, unter dem Motto »Jewish Ethnic Food« gekocht. Was genau ist das?
Israel ist ein sehr junges Land. Wenn wir über israelische Küche sprechen wollen, dann müssen wir zuerst einmal den alten Begriff der Landesküche außen vor lassen. Denn wenn man von französischer, chinesischer oder italienischer Küche spricht, dann meint man damit Küchen, die sich über Jahrhunderte entwickelt haben. Da Israel so jung ist, handelt es sich bei unserer Küche um etwas anderes. Wir müssen den Begriff moderner betrachten. Wir sind zwar ein junges Land, aber auch gleichzeitig eine der ältesten Nationen der Welt, über 2000 Jahre alt. Und den größten Teil davon waren wir nicht in unserem eigenen Land, sondern überall verteilt. Während dieser 2000 Jahre haben die unterschiedlichen ethnischen Gruppen ihre jeweils eigene Küche entwickelt, die – oberflächlich betrachtet – miteinander gar nichts zu tun haben. Außer, dass sie jüdisch sind.
Was bedeutet das?
Es ist natürlich viel mehr als koscher. Wir reden über Nahrung meistens aus kulinarischer Sicht. Aber Nahrung hat auch noch eine andere Bedeutung. Sie ist Identität. Wir Juden haben so viele Vorschriften, was wir wann wie miteinander kombiniert essen können. Essen ist Teil unserer Identität. Doch es gibt auch viele Paradoxien: An Schabbat soll man sehr gutes, festliches Essen zu sich nehmen. Allerdings darf man nicht kochen. Wie stellt man es also an? Die Lösung ist einfach, aber sensationell. Denn alle ethnisch-jüdischen Gruppen haben sich Gerichte erarbeitet, die man vor Schabbatbeginn kocht und die mindestens zwölf bis 14 Stunden kochen.
Und die danach noch schmecken.
Sie schmecken alle köstlich. Das Gleiche gilt für Brot. Die Jemeniten haben einige Brote, die man Freitagnachmittag in den Ofen legt und Samstagnachmittag wieder herausnimmt. Das würde kein anderes Brot überleben. Es gibt wahrscheinlich kein anderes Land, das so viele ethnisch-jüdischen Rezepte hat wie Israel. Natürlich gibt es auch in den USA viele unterschiedliche Küchen, aber die haben miteinander nichts zu tun. In Israel ist das anders.
Was mögen Sie denn am liebsten?
Das ist schwer. Ich mag so vieles. Denn während dieser 60 Jahre sind die Küchen von überallher ineinander und miteinander verschmolzen. Wenn zum Beispiel eine Marokkanerin einen Polen geheiratet hat, wird sie langsam, aber sicher Zutaten und Techniken des anderen in ihre Küche mit einfließen lassen.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Nehmen wir den Jerusalemer Chamin. Es gibt allerlei Chamin: polnisch, marokkanisch, aber es gibt eben auch diesen einzigartigen Jerusalemer. Lange vor der Gründung Israels lebten Juden aus Syrien, Irak und Russland in Jerusalem. Sie lebten in einer Art Hof. Und Freitagmorgen gingen die Frauen in den Hof, kochten den Chamin. Dabei sahen sie, was ihre Nachbarin in ihren Eintopf gab. So entwickelte sich die Jerusalemer Version, die ein Mix aus allen Chamin ist.
Wie haben sich diese langen Traditionen ins Heute gerettet?
Es hat eine Weile gedauert, bis die israelischen Köche auf diese Rezepte zurückgegriffen haben. Sogar die großen Küchenchefs, die zu Beginn eher auf französische Küche gesetzt haben, bringen seit etwas 20 Jahren die Rezepte ihrer Mütter mit ein in ihre eigenen.
Wie kam das an?
Die Leute lieben es. Wer würde es wagen, Tahini in ein Zwei-Sterne-Menü zu machen? Aber sie tun es, und es kommt gut an.
Was hat Sie in Ihrer Arbeit beeinflusst?
Meine Eltern kommen aus Usbekistan, aus Samarkand. Ich liebe natürlich das Essen meiner Mutter. Als ich anfing, habe ich mich mit chinesischem Essen auseinandergesetzt. Ich war geschockt.
Warum?
Ich hätte nie gedacht, dass man so kochen könne. Ich ging also nach Taiwan, denn China war dicht. Jeder dachte, ich sei verrückt. Denn vor 30 Jahren gab es in Israel noch nicht den Beruf des Küchenchefs. Natürlich gab es Restaurants, aber keine bekannten Köche. Alle dachten sich also: Warum will er kochen lernen? Und warum Taiwan? Und mein erstes Restaurant war ein großer Erfolg. Aber, wenn man so weit weg geht, kommt man eines Tages wieder zurück. Und ich habe quasi in meinen eigenen Hinterhof geschaut.
Was haben Sie da gefunden?
Zum Beispiel Tahini. Die ganze Welt ist verrückt danach. Als ich jung war, bin ich nach Holland gegangen, um Kunst zu studieren. Ich wohnte mit einigen Kommilitonen zusammen, und jeder kochte ein Gericht aus seinem Land. Ich wählte Tahini, das man im Gegensatz zu heute damals nur schwer in Holland finden konnte. Im Handumdrehen war ich für die anderen eine Art Zauberer. Sie waren erstaunt über diesen Geschmack. Oder nehmen Sie Hummus. Vor zwei Jahren gab es diesen Hummus-Streit zwischen Libanon und Israel. Doch das, was wir heute als arabische Küche bezeichnen, kommt eigentlich von den Türken. Der Kaffee, der Schisch Kebab, Baklava. Man stiehlt also nichts.
Man lässt sich inspirieren ...
Ja, die Falafel beispielsweise kommt ursprünglich aus Ägypten. Dort serviert man ihn mit grob geschnittenen Tomaten, grob geschnittenen Zwiebeln und Petersilie. In Israel essen wir Falafel anders. Wir nehmen eine Pita, eine jemenitische Zhug-Paste, libanesische Tahini, türkischen Salat, Pommes Frites: In diesem einen Pita-Brot hat man mit einem Biss so viele ethnische Einflüsse.
Das Gleiche gilt ja dann auch für Sabich und Amba.
Ja, denn das kommt ursprünglich aus dem Irak. Wenn wir gerade über Einflüsse sprechen: Ich war einmal in Südindien in Cochin. Man nahm uns mit zu einer Frau, die typisch indisch kochen sollte. Nun, ich bekam etwas, das sie Chube nannte. Ich sah es: ein Fleischbällchen mit Semolina, mit Okras. Das war Kube! Es schmeckte natürlich indisch, aber der Name, die Kochtechnik. Das war jüdische Küche, denn dort gab es eine große jüdische Gemeinde. Und Amba ist eigentlich ein indisches Mango-Chutney, denn in Indien sagt man zur Mango »Amb«. Essen hat keine Grenzen.
Die Grünen möchten in Deutschland einen fleischlosen Tag etablieren. Wie denken Sie darüber?
Das gibt es in Israel schon. Aber nicht verpflichtend. Eine Frau hat die Kampagne ins Leben gerufen. Und sie war clever genug, es den Leuten nicht aufzuzwingen, sondern sie sagte: Lasst uns einen Tag auf Fleisch verzichten, um die Erde zu retten. Und es funktioniert. Einige der besten Restaurants nehmen daran teil, denn sie hat es auf sehr charmante Weise geschafft. Seien wir ehrlich: Nichts wird passieren, wenn wir einen Tag in der Woche kein Fleisch essen. Wir helfen der Erde. Und ich bin dafür.
Sie legen auch manchmal als DJ auf. Möchten Sie dem Küchenalltag entfliehen?
Nach dem Militär 1971 habe ich in einem der größten Clubs in Haifa aufgelegt. Damals hieß das noch anders. Es gab noch keine CDs und Mixer – nur Platten. Ich liebe Musik.
Haben Sie spezielle Musik zum Kochen?
Das hängt von meiner Stimmung ab. Aber zu meinem 53. Geburtstag hat mich meine Frau für einen DJ-Kurs angemeldet. Und seither bin ich in ganz Tel Aviv unterwegs.
Mit dem israelischen Starkoch sprach Katrin Richter.
Israel Aharoni (63) wuchs in Haifa als Sohn bucharischer Juden auf. Er fing an, in den Niederlanden Kunst zu studieren, bevor es ihn nach Taiwan zog, um das Kochen zu erlernen. Aharoni hat heute ein chinesisch-thailändisches Restaurant in Herzlija – das »Pat Qua«. Er ist Kolumnist bei der Tageszeitung Yedioth Ahronoth und wirkt in TV-Sendungen wie »Aharoni cooks with Friends« mit.