Kino

»Es ist sehr komplex, Jüdin zu sein«

Sharon Ryba-Kahn Foto: Stephan Pramme

Frau Ryba-Kahn, Sie drehen gerade den Dokumentarfilm »Seeds of Identity«. Worum geht es?
Ich hatte die Idee vor ungefähr 16 Jahren. Damals habe ich mit meiner Mutter in Jerusalem gelebt. Sie war Nahostkorrespondentin. Ich habe mich in der Stadt sehr frei bewegen können. Der Film entstand aus der kindlichen Annahme heraus, dass, wenn man einen Menschen näher kennenlernt, es schwerfällt, ein Vorurteil beizubehalten. Denn sobald man mehr über ebendiese Person erfährt, erfährt man mehr über ihre Probleme und Schmerzen.

Sie begleiten drei ganz unterschiedliche junge Frauen. Wie haben Sie sie gefunden?
Eine von ihnen habe ich ganz konkret gesucht, Noga. Sie ist 18 Jahre alt und möchte in eine Kampfeinheit der israelischen Armee. Die beiden anderen Frauen habe ich eher zufällig während meiner Arbeit beim Cinema South Film Festival in Sderot kennengelernt. Ich habe in einer Wohngemeinschaft mit einer nationalreligiösen jungen Frau, Moran, gelebt. Es war für mich sehr spannend.

Warum?
Moran weiß sehr genau Bescheid über die Macht einer Kamera. Sie war auch bereit, bei meinem Projekt mitzumachen, allerdings unter bestimmten Voraussetzungen. Sie ist Sozialarbeiterin in Sderot und in der Stadt bekannt. Ich habe auch eine Palästinenserin gesucht, die ich in Hanadi gefunden habe. Sie war an der Uni einige Semester unter Moran und engagierte sich im jüdisch-arabischen Dialog.

Wie hat sich die Zusammenarbeit gestaltet?
Ich habe mich zum Beispiel mit Noga in Ramat Gan getroffen, wir sind an den Strand nach Tel Aviv gefahren und haben angefangen, miteinander zu sprechen. Langsam bin ich Teil ihres Alltags geworden. Mit Hanadi habe ich mich regelmäßig auf dem Campus des Sapir College getroffen.

Sie möchten mit Ihrem Film auch gegen Vorurteile kämpfen. Hatten denn diese drei Frauen auch gegenseitig Vorurteile?
In Israel prallen Meinungen aufeinander. Auf sehr gewaltsame Weise. Nichtsdestotrotz müssen Menschen miteinander leben. Die drei Frauen kennen sich eigentlich nicht.

Wie haben Noga, Hanadi und Moran auf den Film reagiert?
Hanadi zum Beispiel hat den Trailer auf ihrer Facebook-Seite gepostet. Moran ist zurückhaltender und möchte das lieber nicht tun. Noga war ganz hin und weg und hat sogar geweint. Jede der drei Frauen hat ja auch andere Ängste: Noga ist 18, sie möchte hübsch rüberkommen, nicht dumm. Moran will nicht fanatisch wirken, sondern man soll ihre Liebe zum Land erkennen.

Was bedeutet Identität für Sie?
Sie ist ein Mosaik aus meiner Erziehung und von Erfahrungen, die ich gesammelt habe. Vor allem aber möchte ich herausfinden, inwiefern man seine eigene Identität bewahren und trotzdem anderen Menschen gegenüber offen bleiben kann.

Sie haben lange in Israel gelebt. Wie haben Sie die Gesellschaft wahrgenommen?
In den ersten vier Jahren habe ich von der israelischen Seite recht wenig mitbekommen. Ich bin auf eine französische Schule mit 70 Prozent palästinensischen Schülern gegangen. Ich war mehr in Ramallah als in Tel Aviv und kannte die israelische Seite nicht wirklich. Und das habe ich dann nachgeholt. Ich wollte das wegen meiner jüdischen Identität machen. Es ist sehr komplex, Jüdin zu sein.

Mit der Regisseurin sprach Katrin Richter.

Sharon Ryba-Kahns Dokumentation kann auf der internationalen Crowdfunding-Plattform Indiegogo noch bis zum 13. März unterstützt werden.

www.indiegogo.com/projects/seeds-of-identity

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