Sprachgeschichte(n)

Es ist Essig!

Des is zu Essich worre, sagt der Pfälzer. Foto: Thinkstock

Der unter dem Pseudonym CUS schreibende Autor und Herausgeber illustrierte in seinem Buch Das Sonderbare Lexikon der deutschen Sprache (2009) seine Vorliebe für Sätze mit gleichlautenden Einheiten durch das Beispiel: »Selten ess’ ich Essig – ess’ ich Essig, ess’ ich Essig im Salat.«

Eine Vorliebe für das Wort, das die würzende saure Flüssigkeit bezeichnet, hatte auch der Schriftsteller Ödön von Horváth. In seinem 1937 in Prag uraufgeführten Theaterstück Figaro lässt sich scheiden kommt es im 1. Akt beim gräflichen Kammerdiener zum Wutausbruch, als dessen Frau Susanne die Aussage des Grafen zitiert, sie seien in vier Wochen wieder zu Hause.

Figaro tobt: »Ich kann diesen Blödsinn nicht mehr hören! Vor drei Monaten hat er gesagt, in zwei Monaten ist alles aus. Essig! Vor acht Wochen hat er gesagt, in sechs Wochen ist alles aus. Essig! Vor vier Wochen hat er gesagt, Weihnachten feiern wir zuhaus – und Weihnachten ist übermorgen! Also wieder Essig! Ich sage dir, es ist alles Essig, die Lage konsolidiert sich, alles kapituliert, und wir werden das Ende nicht mehr erleben, nur unser Ende! Essig! Essig! Essig!«

Bild Die hier strapazierte Redewendung »Es ist Essig!« charakterisiert der Duden als umgangssprachlich und deutet sie im Sinne von »es ist vorbei; daraus wird nichts mehr; etwas kommt nicht mehr zustande«. Die BILD schrieb 2004 frech: »Alte Männer sind wie alte Weine: Irgendwann bröselt der Korken, und dann ist es Essig damit.« Leicht modifiziert klingen die Varianten in Frankfurt (»Es war awwer Essig« = es war umsonst, es war nichts) und in Berlin (»Det is Essig« = unangenehm, schlecht). Das Herkunftswörterbuch des Duden ergänzt, dieser übertragene Gebrauch habe sich erst im Neuhochdeutschen herausgebildet.

Bezüglich der Herkunft der Wendung begeben sich allerdings fast alle Fachbuchautoren aufs volksetymologische Glatteis, wenn sie sie – wie etwa Olga Ejikhine in ihrem 2006 erschienenen Sprachführer durch die Welt der Redewendungen – auf den Vorgang der Weingärung beziehen. Gewiss wird Wein bei zu langer Gärung zu Essig und verliert damit seinen Wert, was sich zum Beispiel in der Pfälzer Weinbau-Metapher »des is zu Essich worre« niederschlägt.

Frankfurt Doch der Ursprung der Redensart hat nichts mit Weinbau, aber viel mit dem Geschäftsleben zu tun. Der Frankfurter Ausspruch: »Des is kaa Essig net« zeigt, dass deutsche Juden das jiddische Wort »heisik« (rabbinisch: hêsek) im Sinne von »Schaden, Verlust« gebrauchten.

Heidi Stern bemerkt im Wörterbuch zum jiddischen Lehnwortschatz in den deutschen Dialekten (2000): »Vermutlich wurde die Form ›hesek‹ aus dem Ostjiddischen entlehnt und ging als volksetymologisch motiviertes Lehnwort über das Berlinische in die deutsche Umgangssprache ein.« Arthur Zivy (Elsässer Jiddisch, 1966) nennt mit Bezug auf das hebräische Verb »hässek« (beschädigen) die Lautform »Hessig« (Verlust), die dem deutschen »Essig« bis auf den Anlaut entspricht.

Hans P. Althaus führt in Chuzpe, Schmus und Tacheles (2004) aus: »Jüdischen Geschäftsleuten stand der ›Hessek‹ immer drohend vor Augen.« Eine Kaufmannsregel in der Sammlung Jüdischer Sprichwörter und Redensarten (1860) besagt: »E Soocher (= Kaufmann) ohne Verstand, da liegt der Hessik uf der Hand« – hat ein Kaufmann keinen Verstand, gerät ihm das zum Nachteil. Einem solchen Kaufmann hilft dann nur noch ein Trick: »Wenn der Kaufmann preist den Wein, so wird es guter Essig sein.«

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  25.04.2025

100 Jahre "Der Prozess"

Was Kafkas »Der Prozess« mit KI und Behörden-Wirrwarr gemeinsam hat

Seine Liebesworte gehen auf TikTok viral. Unheimlich-groteske Szenen beschrieb er wie kein Zweiter. In Zeiten von KI und überbordender Bürokratie wirkt Franz Kafkas Werk aktueller denn je - eben kafkaesk

von Paula Konersmann  25.04.2025

Reykjavik

Island fordert Ausschluss Israels vom ESC

Das Land schließt sich damit der Forderung Sloweniens und Spaniens an. Ein tatsächlicher Ausschluss Israels gilt jedoch als unwahrscheinlich

 25.04.2025

Popkultur

Israelfeindliche Band Kneecap von zwei Festivals ausgeladen

Bei Auftritten verbreiten die irischen Rapper Parolen wie »Fuck Israel«. Nun zogen die Festivals Hurricane und Southside Konsequenzen

von Imanuel Marcus  25.04.2025

Berlin/Brandenburg

Filmreihe zu Antisemitismus beim Jüdischen Filmfestival

Das Festival läuft vom 6. bis 11. Mai

 25.04.2025

Fernsehen

Ungeschminkte Innenansichten in den NS-Alltag

Lange lag der Fokus der NS-Aufarbeitung auf den Intensivtätern in Staat und Militär. Doch auch viele einfache Menschen folgten der Nazi-Ideologie teils begeistert, wie eine vierteilige ARD-Dokureihe eindrucksvoll zeigt

von Manfred Riepe  24.04.2025

Meinung

Nur scheinbar ausgewogen

Die Berichte der Öffentlich-Rechtlichen über den Nahostkonflikt wie die von Sophie von der Tann sind oft einseitig und befördern ein falsches Bild von Israel

von Sarah Maria Sander  24.04.2025

Imanuels Interpreten (8)

Carly Simon: Das Phänomen

Die Sängerin und Songschreiberin mit jüdisch-deutschem Familienhintergrund führt ein aufregendes, filmreifes Leben – Verbindungen zu einer singenden Katze, einem rollenden Stein, zu Albert Einstein und James Bond inklusive

von Imanuel Marcus  24.04.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus  24.04.2025