Frau Galliner, was hat es mit dem Titel »Nicht ganz koscher« auf sich?
Dass das JFBB anders ist als vielleicht erwartet. Es gibt ungewöhnliche Themen und Filme, die überraschende Blickwinkel bieten.
Radu Mihaileanu, der Regisseur des Eröffnungsfilms »Die Geschichte der Liebe«, ist ein alter Bekannter des JFBB.
Wir hatten ihn vor 18 Jahren schon einmal zu Gast, mit seinem Film Zug des Lebens. Es ist toll, dass er nun als gestandener Regisseur erneut das Festival eröffnet. Mit Filmen wie Das Konzert oder Geh und lebe hat er gezeigt, dass er derzeit einer der aufregendsten jüdischen Filmemacher ist. Sein neuer Film kommt nach der Premiere bei uns in die deutschen Kinos.
Haben Filme, die beim JFBB gezeigt werden, größere Chancen auf Öffentlichkeit?
Es bringt sie auf jeden Fall nach vorne. Es tut mir immer leid, wenn wir sehr starke und eindrucksvolle Filme zeigen und sie dann oft noch keinen Verleih haben. Manchmal können wir da ein bisschen nachhelfen. Durch uns werden sie bekannter. Einige von ihnen haben definitiv eine Chance in Deutschland, so zum Beispiel Uncle Gloria, ein herrlicher Dokumentarfilm aus den USA über einen Mann Ende 60, der sich und sein Leben plötzlich vollkommen ändert.
In diesem Jahr zeigt das Festival eine Sonderreihe zum Thema »100 Jahre UFA« und die Hommage »Dem Vergessen entrissen« – warum der Blick zurück?
Es ist vor allem ein Blick auf jemanden, den bislang vorrangig Cineasten kennen, Emeric Pressburger. Anhand seines Lebens wollten wir exemplarisch zeigen, was dem deutschen Film verloren gegangen ist. Einer seiner beiden Enkel, Kevin Macdonald, ist selbst Regisseur. Für seinen Film One Day in September über den Olympia-Anschlag 1972 in München erhielt er einen Oscar. Als junger Mann hat er einen Film über seinen Großvater gedreht, The Making of an Englishman: die Geschichte eines jüdischen Jungen aus Ungarn, der über Berlin und Paris nach England kam und dort ein erfolgreicher Filmproduzent und Drehbuchautor wurde. Den werden wir zeigen. In einem von Pressburgers ersten Filmen bei der UFA von 1932 spielte übrigens als Kind Gerhard Klein mit – der Mann, nach dem unsere Filmpreise benannt sind. Womöglich sind sich beide am Set begegnet. Da schließt sich für mich ein Kreis.
Wie gelingt es Ihnen, immer wieder besondere Filme wie diese aufzuspüren?
Suchen, suchen, suchen! Die Vorbereitung erfordert sehr viel Recherche, an der ein ganzes Team beteiligt ist. Jedes Jahr werden bei uns etwa 200 Filme eingereicht. Hinzu kommen Filme, die uns aufgefallen sind, etwa bei anderen Festivals, oder sie finden ihren Weg durch Empfehlung zu uns. Auch unsere Gast-Kuratoren wechseln, was dem Festival immer wieder neue Ideen und Anregungen bringt.
Welche Verbindungen pflegen Sie zu anderen Festivals weltweit?
Uns gibt es seit 23 Jahren, wir sind in der jüdischen und israelischen Festivalwelt mittlerweile ziemlich bekannt – und es gibt etwa 250 solcher Festivals weltweit. Gerne vermitteln wir Filme weiter, so wie zum Beispiel vor fünf Jahren den Film von Stephen Fry über Richard Wagner ans Filmfestival Haifa, den Film über Max Raabe ans Filmfestival Jerusalem und diverse Filme zu den Filmfestivals in Boston oder New York.
Haben Sie andere Kriterien als Festivals in den USA, Israel und Europa?
Die jüdischen Filmfestivals in den USA, Frankreich, Großbritannien und Israel sind für ein jüdisches Publikum gedacht. Bei uns ist das Publikum hauptsächlich nichtjüdisch. Wir müssen uns daher bei der Filmauswahl immer die Frage stellen: Verstehen das auch nichtjüdische Zuschauer? Oder ist das nur eine Insider-Geschichte? Die Filme müssen für alle verständlich sein und zugleich den Horizont erweitern.
Wie kann ein jüdisches Filmfestival zu einer differenzierteren Sicht auf jüdische Themen beitragen – gerade jetzt?
Es gibt riesigen Aufklärungsbedarf, was Vorurteile und das Bild über Israel in Deutschland angeht – es wird oft als kampfwütiges Land voller irrer Religiöser dargestellt. Durch das Medium Film und die Gespräche mit den Filmschaffenden, die auch Minderheiten in Israel repräsentieren, können wir ein realistisches Bild des Landes zeigen, das wesentlich komplexer ist als in den Medien dargestellt. Auch das jüdische Leben aus aller Welt, seine Entwicklung und Vielfältigkeit können durch die Filme einem Publikum nahegebracht werden, das sonst keine Berührung mit der jüdischen Welt hat. Das ist uns wichtig.
Mit der JFBB-Festivalleiterin sprach Katharina Schmidt-Hirschfelder.