EILMELDUNG! Internationaler Strafgerichtshof erlässt Haftbefehle gegen Israels Premier Netanjahu und Ex-Verteidigungsminister Gallant

Chen Reiss

»Es geht um mehr als Töne«

»Es ist meine Aufgabe als Sängerin, die Facetten der Figur zu entdecken und zu entwickeln«: Chen Reiss als Servilia in Mozarts »La Clemenza di Tito« an der Wiener Staatsoper Foto: Getty

Frau Reiss, Sie eröffnen am 31. August mit dem Mahler Chamber Orchestra unter Kent Nagano und dem Bariton Thomas Hampson das Musikfest Berlin.
Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit mit Thomas Hampson. Wir haben uns vor einigen Monaten in Pittsburgh kennengelernt, wo wir gemeinsam das Brahms-Requiem gesungen haben. Als die Einladung vom Mahler Chamber Orchestra kam, wusste ich, dass er mich empfohlen hatte. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich bin ein ganz großer Fan von ihm und kaufe alle seine CDs, seit ich eine Studentin war. Ich höre gerne Aufnahmen von anderen Sängern, wenn ich mich auf ein Projekt vorbereite, und Hampsons Aufnahmen sind immer gute Beispiele für Stil, für Sprache, für Interpretation.

Beeinflusst Sie das auch bei Ihrer eigenen Interpretation?
Nein. Es ist interessant für mich zu hören: Was hat der eine gemacht, was der andere? Ich mache es dann sowieso anders, weil meine Stimme anders ist. Eine Stimme ist sehr persönlich. Meine klingt nicht wie andere. Selbst wenn ich das Gleiche mache, wird es nicht gleich klingen.

Warum sind Sie Sängerin geworden? Was hat Sie am Gesang gereizt?
Unser Beruf ist wahnsinnig reich: Es geht nicht nur um Technik, nicht nur um Töne. Es steckt auch eine intellektuelle Seite dahinter. Gesang ist auch für meinen Kopf interessant.

Sind wirklich alle Rollen intellektuell fordernd?
Natürlich gibt es Libretti, die vom Drama her besser sind als andere. Aber jede Figur hat Facetten, und es ist unsere Aufgabe als Sänger und Schauspieler, diese verschiedenen Facetten zu entdecken, zu entwickeln und zu kommunizieren. Ich glaube, es gibt keine Rolle in einer Oper, die eindimensional ist. Aber es gibt natürlich Partien, die vom Text her tiefgründiger sind als andere. Wenn ich Adele von Strauss aus der »Fledermaus« singe, muss ich leicht bleiben und diese Rolle mit Lust, mit Freude, mit Humor auf der Bühne spielen. Aber wenn ich eine Bach-Kantate singe, ist die Verbindung zur Musik eher geistig.

Man kennt Sie als Operninterpretin, derzeit haben Sie ein Engagement an der Wiener Staatsoper. Neben der Oper sind Sie aber auch im Liedgesang zu Hause.
Ja, den liebe ich sehr. Lieder sind eine Welt, die reich an Gefühlen und an Gedanken ist. Gerade bei deutschen Liedern ist die intellektuelle Seite sehr stark ausgeprägt, aber auch die dramatische und die emotionale.

Sie sind in Israel zur Welt gekommen und aufgewachsen. Hatten Sie dort schon einen Bezug zu dieser Art Musik?
Auch meine Eltern sind in Israel geboren, sind also 100 Prozent israelisch. Aber meine Großeltern väterlicherseits kamen beide aus Ungarn. Ich kann mich sehr gut erinnern, dass wir in ihrem Haus immer klassische Musik gehört haben. Sie sprachen Deutsch, die deutsche Literatur und Kultur waren allgegenwärtig. Das ist natürlich in mir drin. Die Eltern meiner Mutter kamen aus der Türkei und Syrien. Meine Großmutter kocht herrlich türkisch. Solche Sachen sind geblieben: das Essen, die Musik, die Kultur.

Halten Sie Verbindung in die Heimat?
Ich wohne zwar schon seit mehreren Jahren nicht mehr in Israel, aber ich bin sehr oft zu Besuch da, weil meine ganze Familie noch dort wohnt. Ich beschäftige mich mit Israel, lese Zeitung und sehe Nachrichten. Natürlich fühle ich mich als Israelin und als Jüdin, aber ich bin nicht religiös. Ich gehe nie in die Synagoge, aber ich respektiere die verschiedenen Religionen. Und ich habe sehr viel Respekt vor der Geschichte der Juden. Aber die Musik nimmt in mir so viel Raum ein, dass ich mich mehr mit musikalischen Themen als mit politischen beschäftige.

Können Sie Entscheidungen wie die Absage des geplanten großen Wagner-Konzerts in Tel Aviv verstehen?
Ich verstehe, dass manche Leute in Israel Wagner nicht hören wollen. Es tut mir aber leid, weil ich finde, dass man Wagner in Israel spielen sollte. Wer Wagner hören will, soll Wagner hören – und wer nicht, nicht! Es ist eine Frage der Freiheit: Wir sollten die Freiheit haben zu wählen. Ich habe Asher Fisch im Mai in Wien getroffen, und er hat mir mit großer Begeisterung von dem Wagner-Konzert erzählt. Er hat sich viel Mühe gemacht, um es zu organisieren. Wir waren alle wirklich glücklich, dass es endlich stattfindet. Und dann wurde es doch abgesagt. Ich finde das schade!

Chen Reiss wuchs in Holon und Herzliya auf. Ihren Militärdienst leistete sie als Solosängerin im Orchester der Zahal ab. 2000 debütierte sie als Mademoiselle Silberklang in Mozarts »Der Schauspieldirektor« beim World Bank Mozart Festival. Seither ist die Sopranistin unter anderem in der Mailänder Scala, der Bayerischen Staatsoper und der Deutschen Oper Berlin aufgetreten. 2006 spielte sie mit den Berliner Philharmonikern unter Sir Simon Rattle den Soundtrack für den Film »Das Parfüm« ein. Beim Eröffnungskonzert des Musikfests Berlin am 31. August präsentiert Reiss Lieder des US-Komponisten Charles Ives (1874–1954).

www.chenreiss.com

Veranstaltungen

Sehen. Hören. Hingehen.

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 21. November bis zum 28. November

 21.11.2024

Liedermacher

Wolf Biermann: Ein gutes Lied ist zeitlos gut

Er irre sich zuweilen, gehöre habe nicht zu den »irrsten Irrern«, sagt der Liedermacher

 21.11.2024

Nachruf

Meister des Figurativen

Mit Frank Auerbach hat die Welt einen der bedeutendsten Künstler der Nachkriegsmoderne verloren

von Sebastian C. Strenger  21.11.2024

Berlin

Ausstellung zu Nan Goldin: Gaza-Haltung sorgt für Streit

Eine Ausstellung würdigt das Lebenswerk der Künstlerin. Vor der Eröffnung entbrennt eine Debatte

von Sabrina Szameitat  21.11.2024

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

 21.11.2024

Fachtagung

»Kulturelle Intifada«

Seit dem 7. Oktober ist es für jüdische Künstler sehr schwierig geworden. Damit beschäftigte sich jetzt eine Tagung

von Leticia Witte  20.11.2024

Meinung

Maria und Jesus waren keine Palästinenser. Sie waren Juden

Gegen den Netflix-Spielfilm »Mary« läuft eine neue Boykottkampagne

von Jacques Abramowicz  20.11.2024

Berlin

Von Herzl bis heute

Drei Tage lang erkundet eine Tagung, wie der Zionismus entstand und was er für die jüdische Gemeinschaft weltweit bedeutet

 20.11.2024

Antisemitismus

»Verschobener Diskurs«

Nina Keller-Kemmerer über den Umgang der Justiz mit Judenhass und die Bundestagsresolution

von Ayala Goldmann  20.11.2024