Im Osten gefeiert, im Westen als Spionin diffamiert - Die NS-Widerstandskämpferin Hilde Coppi erfuhr keine einheitliche Würdigung. Ein neues Kinodrama widmet sich der vielschichtigen Person, ohne zu verklären.
1942 wird die Berlinerin Hilde Coppi auf ihrem Laubengrundstück in Tegel verhaftet, wo sie mit ihrem Mann Hans Coppi lebt. Die Versicherungsangestellte versucht nicht zu fliehen. Scheinbar hat sie nichts zu verbergen. Aber ihr Blick verrät Angst. Man ahnt, dass sie zu jenen Deutschen gehören könnte, die den Nationalsozialismus nicht freudig begrüßt haben.
Mopedfahren, baden und sich verlieben
Regisseur Andreas Dresen stellt den Anfang vom Ende ganz nach vorne. Hilde und Hans sind Mitglieder des unter dem Namen »Rote Kapelle« bekannt gewordenen Widerstandsnetzwerks. In Ostdeutschland wurden sie als Helden gefeiert, im Westen seit dem Kalten Krieg als Sowjetspione diskreditiert.
Was ihnen die NS-Justiz vorwirft, erfährt man in unzähligen Rückblenden, ganz beiläufig, ohne dramatische Aufladung und in wenigen Details. Da befindet sich die schwangere Hilde bereits in Haft im Frauengefängnis Barnimstraße. Nach der Geburt ihres Kindes kümmert sie sich auf der Krankenstation um Mitgefangene. Sie gibt anderen Halt, um selbst nicht an der drohenden Trennung von ihrem Sohn zu verzweifeln.
Im rückwärts laufenden Erzählstrang sieht man Hilde und Hans mit anderen beim Bekleben der Plakate gegen die Propagandaschau »Das Sowjetparadies«, beim Abhören von Soldatennachrichten auf »Radio Moskau«, beim Üben des Morsens in der Straßenbahn. Es sind keine strategisch durchdachten Taten.
Bilder von Erschießungen
Erst mit der Zeit bekommt die Gruppe Bilder von Erschießungen durch die Wehrmacht zugespielt. Sie werden abfotografiert und aufbewahrt. Mehr geschieht nicht. Bei aller Konspiration findet man immer noch Zeit fürs gemeinsame Zelten und Baden im See, für Fahrten mit dem Moped und die Liebe.
Was die meisten der Freunde von Hilde und Hans Coppi eint, ist der Glaube an den Kommunismus und die Ablehnung des Unrechts, das im Namen des NS-Regimes geschieht. Viel diskutiert wird darüber aber nicht. Weder folgt man einer politischen Agenda, noch möchte man sich zu sehr gefährden, indem man etwa Juden, Zwangsarbeitern oder Deserteuren hilft, wie es die Kölner Edelweißpiraten taten.
Dresen interessiert sich für die menschliche Seite eines jungen Lebens unter staatlichem Druck, für die Gründe der Entscheidung, gegen den Strom zu schwimmen. Das Bewusstsein, jeden Tag verhaftet werden zu können, nur weil man nicht untätig bleiben möchte, drückt sich auf den Gesichtern aus, die im Gefängnis um Jahre altern.
Minimalistische Konkretheit
Die Schritte dahin fängt der Film in minimalistischer Konkretheit ein und gibt allen beteiligten Schauspielern die Gelegenheit zum Brillieren, allen voran Liv Lisa Fries, die nicht nur in der unfassbar lebensnahen Gebärszene grandios über sich hinauswächst.
Selbst an Alexander Scheer lassen sich neue Seiten entdecken, wenn er mit emphatischem Understatement den Plötzenseer Gefängnispfarrer Harald Poelchau spielt, dem Hilde vor ihrer Hinrichtung den mit »In Liebe, Eure Hilde« endenden Abschiedsbrief diktiert.
Die Kamerafrau Judith Kaufmann wählt für die Rückblenden helles Sommerlicht, während die grobkörnigen Gefängnisinterieurs im Blaugrau erfrieren. Den Unterdrückungsapparat zeigt Dresen nicht in historisierenden Massenaufläufen oder einer Ansammlung von Nazi-Uniformen, wie es viele andere Historiendramen zum Thema gerne tun. Man erlebt ihn vielmehr entlang von zynischen Gefängnisärzten, freundlichen Gestapo-Beamten und verblendeten Aufseherinnen, die pingelig Vorschriften befolgen, um schließlich doch noch einen wohlwollenden Bezug zu den politischen Gefangenen zu entwickeln, denen man in intimen Momenten näherkommt, als man es eigentlich möchte.
Tanzabend am Wannsee
Diese vielen, die Maschinerie am Laufen haltenden Figuren mit ihren privaten Sorgen täuschen aber nicht über die Grausamkeit des Systems hinweg. Hildes Gnadengesuch wird von Hitler abgelehnt. Im Prozess vor dem Reichskriegsgericht hat sie keine Chance.
Der Gang zur Hinrichtung, den die Frauen der »Roten Kapelle« gemeinsam absolvieren, gerät unter Verzicht auf Pathos zu einem hochemotionalen Martyrium, das erbarmungslos realistisch in Szene gesetzt ist. Innerhalb von 35 Minuten wurden am 5. August 1943 insgesamt 13 Frauen mit dem Fallbeil getötet. Hilde Coppi war damals 34 Jahre alt.
Einen Schnitt weiter zeigt die letzte Rückblende einen unbeschwerten Tanzabend am Wannsee, wo sich Hilde und Hans kennenlernen. Das trifft ins Mark.