von Fritz Backhaus, Hanno Loewy und Bernhard Purin
In der Beziehung zwischen Religionen ist heute viel von Toleranz, Anerkennung und Dialog die Rede. Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht, und dazu gehört nicht nur das Recht religiöser Minderheiten auf ungestörte Religionsausübung, sondern auch das Recht, die Religion zu wechseln. Doch bis heute markiert der Vorgang der Konversion, des Übertritts, so etwas wie den Ernstfall im Verhältnis zwischen den Religionen. Wer konvertiert, stellt das Glaubensgebäude infrage, das er oder sie verlässt. Und bestätigt den Anspruch auf Wahrheit, den jene Religion erhebt, zu der man sich wendet.
kriminalisiert Übertritte von einer Religion zur anderen waren lange Zeit ein Gegenstand der Ausübung von Macht, und mancherorts sind sie es bis heute. Übertritte zur Religion der Mehrheit waren gesellschaftlich erwünscht und wurden belohnt, Übertritte zum Glauben von Minderheiten hingegen standen zumeist unter Strafe und konnten das Leben kosten.
Kaum 250 Jahre ist es her, da definierte beispielsweise die Constitutio Criminalis Theresiana, also die österreichische Gerichtsordnung vom 31. Dezember 1768, in Artikel 57, wie mit »Abfall vom christlichen Glauben« umzugehen sei, also mit »jenen Abtrünnigen, welche getauffte Christen sind, von dem Christentum abfallen, und dagegen den jüdischen, mahomedanischen oder heydnischen Glauben annehmen. Solch boshafte Verläugnere des christlichen Glaubens sind nebst Verwirkung ihres Vermögens, so zu Unser Kammer einzuziehen ist, insgemein mit dem Schwerd zu bestraffen ...«
Konversionen verlaufen heute in verschiedenste Richtungen und gelten als freie Entscheidung. Doch gesellschaftliche Diskussionen über das Thema Konversion verlaufen auch heute keineswegs konfliktfrei, ja, sie berühren neue Tabus und offene Fragen. Die Jüdischen Museen in Hohenems, Frankfurt/Main und München wollen diesen Kontroversen mit der von Hannes Sulzenbacher und Regina Laudage kuratierten gemeinsamen Ausstellung Treten Sie ein! Treten Sie aus! Warum Menschen ihre Religion wechseln eine Bühne bieten.
motive Die Pluralität der individuellen Motive, die verschiedenen Umgangsweisen der Religionen mit Konversionen und Konvertiten, ihre Rituale und sozialen Kontexte, und schließlich die persönlichen Erfolge und Misserfolge von Religionswechseln werden im diskursiven Raum einer Ausstellung und in einem gleichzeitig erscheinenden Essayband zum ersten Mal in ihrer Widersprüchlichkeit entfaltet. Dabei ist es an der Zeit, manche scheinbare Gewissheit und manches eindimensionale Bild infrage zu stellen.
Das Judentum galt lange als die religiöse Minderheit schlechthin, in einem »christlichen Europa«, das seine Außengrenze gegen den Islam hin definierte – und in dem der öffentliche Streit um das Thema »Konversion« seit der Reformation auf die Frage nach der »richtigen Konfession« fokussierte. Die Geschichte des Christentums ließe sich auch als eine Geschichte von Konversionen erzählen. Die Geschichte des Judentums hingegen ist in gewisser Weise auch eine Geschichte der Widerständigkeit gegen Konversion und der Bewahrung der eigenen Identität gegenüber einer christlichen Mehrheit, für die der Übertritt der Juden untrennbar mit der erhofften und erwarteten Wiederkehr des Messias verbunden war. Die Weigerung der Juden, die christliche Wahrheit anzuerkennen, blieb in katholischer wie in protestantischer Sicht ein Skandal, der unbedingt beseitigt werden musste. Die Konversion der Juden war so für die christlichen Konfessionen bis in die Moderne hinein ein zentrales Anliegen.
Doch auch, wenn die Geschichte der Übertritte vom Judentum zum Christentum vor allem als eine lange Geschichte von Gewalt, Zwang, sozialem Druck und Assimilation erscheint, so zeigt ein näherer Blick darauf ein durchaus differenzierteres Bild individueller Motive, Handlungsspielräume und persönlicher Überzeugungen. Zugleich ist die Annahme, dass Konversionen zum Judentum nur eine Ausnahmeerscheinung darstellen, im Lichte neuerer Forschungen mit Zweifeln zu versehen.
migration Eine neue Dramatik gewinnen Fragen der Konversion vor dem Hintergrund globaler Migration und einer begonnenen Neuerfindung Europas. Der Islam ist in Europa unwiderruflich angekommen, genauer gesagt: hierher zurückgekehrt. Und damit stehen auch Diskussionen über das Verhältnis von Mehrheits- und Minderheitskulturen in einem neuen Kontext. Minderheiten sind nicht überall Minderheiten. Und Mehrheiten nicht überall Mehrheiten.
Auch die Debatten über Religionsfreiheit gewinnen vor diesem Hintergrund an Radikalität. Wie kann gleichzeitig das Recht geschützt werden, eine Religion frei wählen zu können, und das Recht gewahrt bleiben, Religion und kulturelle Identität von Generation zu Generation weiterzugeben, auch und gerade dann, wenn dies aus beziehungsweise in der Position einer Minderheit geschieht? Und damit kultureller Zeichen bedarf, die die Differenz zu einer Mehrheitskultur voraussetzen, in einer Gesellschaft, die nach Belieben sich mal als säkular und dann wieder als christlich versteht beziehungsweise so definiert wird. Wie können individuelle und kollektive Rechte auf Religionsfreiheit miteinander in Einklang gebracht werden, die sich scheinbar ausschließen? Diese Frage gewinnt an Brisanz, wenn wir bedenken, dass die Realität der europäischen Gesellschaften keineswegs der Fiktion eines religionsneutralen Raums entspricht, in dem alle religiösen Bekenntnisse einander auf Augenhöhe begegnen.
debatte Gegenwärtige Debatten über religiöse Symbole, ob Kopftücher oder Beschneidungsriten, stehen im Zeichen solcher zweideutigen Diskurse, in denen es eben doch, wider alle Bekenntnisse zu Freiheit, Toleranz und Menschenrechten, um kulturelle, soziale und politische Macht geht, um ungleich verteilte Ressourcen, in denen auch der Zugang zu Religionsfreiheit und dem, was darunter zu verstehen ist, immer wieder neu ausgehandelt werden muss.
Die Ausstellung Treten Sie ein! Treten Sie aus! Warum Menschen ihre Religion wechseln führt diese Debatten zurück auf konkrete Akteure und auf die Dimension biografischen Erlebens. Wir hoffen, dass dies dazu beitragen kann, diese Debatten auf zivile und produktive Weise zu führen.
Fritz Backhaus ist stellvertretender Direktor des Jüdischen Museums Frankfurt/M. Hanno Loewy leitet das Jüdische Museum Hohenems, Bernhard Purin das Jüdische Museum München.
Die Ausstellung »Treten Sie ein! Treten Sie aus! Warum
Menschen ihre Religion wechseln« ist ein Gemeinschaftsprojekt der Jüdischen Museen Hohenems, Frankfurt/Main und München. Die Schau folgt Konvertiten, darunter berühmte Persönlichkeiten wie Heinrich Heine und Gustav Mahler, auf ihrem oft dramatischen Weg von einem Glauben zum anderen.
Die Ausstellung ist vom 23. Oktober bis 24. März 2013 in Hohenems zu sehen, anschließend in Frankfurt/M. vom 15. Mai bis 15. September 2013 und in München vom 2. Oktober 2013 bis 2. Februar 2014.
Der Katalog zur Ausstellung ist im Parthas Verlag Berlin erschienen (320 S., 24 €).
www.jm-hohenems.at