Anmerkung der Redaktion (2. August 2023):
Als dieser Text von Fabian Wolff in der Jüdischen Allgemeinen erschien, glaubte die Redaktion Wolffs Auskunft, er sei Jude. Inzwischen hat sich Wolffs Behauptung als unwahr herausgestellt.
Manche Leute haben dieses fordernde Lächeln, das mich verunsichert. Die Zeugen Jehovas, die neulich klingelten, hatten es, als sie mir von der Frohen Botschaft erzählen wollten. Ebenso die Scientologen, die vor ihrem Hauptquartier Passanten auflauern. Und auch die Organisatoren des Vortrags »Die Kraft, alles zu verändern!« von Yehuda Berg, mit ihren roten »Team Kabbalah«-Aufklebern, haben es, dieses Lächeln.
Yehuda Bergs Kabbalah Centre ist ein amerikanisches Familienunternehmen. Von Los Angeles aus haben seine Eltern, Philip und Karen Berg, ihre äußerst lose an alte jüdische Mystik angelehnten Lehren in die Welt und in die Köpfe von Madonna, Roseanne Barr und Ashton Kutcher gebracht. »Auch internationale Führungspersönlichkeiten aus den Bereichen Wirtschaft, Politik und Sport sowie Künstler und Mitglieder der Königshäuser vertrauen auf die Inhalte der Kabbalah«, hieß es in der Einladung zu dem Vortrag. Ich bin in bester Gesellschaft an diesem Sonntag im Willy-Brandt-Saal des Schöneberger Rathauses in Berlin.
lifestyle Berg wird von seinen Anhängern als »moderner Entdecker der Kabbala« gefeiert. Bisher hatte ich immer gedacht, Gershom Scholem, Wegbegleiter von Walter Benjamin und erster Professor für jüdische Mystik an der Universität Jerusalem, sei das gewesen. Aber als ich einige der Teilnehmer nach Scholem frage, ernte ich nur leere Blicke.
Vielleicht, weil Scholem nicht für viel Geld heiliges Kabbala-Wasser an Krebspatienten verkauft hat. Spekulationen darüber, dass die sechs Millionen umgebracht wurden, weil sie nicht an die Kabbala glaubten und deshalb »ihr Licht blockiert« war, sind von ihm auch nicht überliefert. (Das hat Eliyahu Yardeni vom Kabbalah Centre London in einem Fernsehinterview gesagt.)
Das Publikum setzt sich zu gleichen Teilen zusammen aus interessiert aussehenden älteren Herrschaften, gepflegten Lifestyle-Spirituellen und offenkundigen Spinnern. Ein junger Textbuch-Hipster mit dicker Hornbrille ohne Gläser steckt sich Infomaterial in seinen bedruckten Jutebeutel. Eine blonde Mittvierzigerin trägt ein Pentagramm um den Hals. Und ein komplett in Rot gekleideter hagerer Mann mit Kinnbart und lila Lea-Rosh-Frisur ruft laut »Meine Redefreiheit wird angegriffen!«, als man ihn informiert, dass Berg nach dem Vortrag keine Fragen beantworten wird.
Vor mir sitzt ein junges Paar, Oleg und Natalie, das sich auf Russisch unterhält. Ich frage sie, ob sie »Jevrej« seien, und sie nicken. Wir vermuten, von einigen der Kabbalisten abgesehen, die einzigen Juden im Raum zu sein. Sicher sind wir uns nicht, man sieht es den Leuten ja nicht an. Oleg und Natalie sind nicht sonderlich religiös – »Russen halt« – und fühlen sich als Juden eher dem Zionismus verpflichtet.
Sie sind aus Langeweile hier. Die Veranstaltung finden sie merkwürdig. Natalie hat das Plakat an eine Sekte erinnert, und die Leute auch. Oleg gibt zu bedenken: »Aber in den Synagogen sind doch größtenteils auch nur Trottel. Was soll’s also.«
guru Dann kommt Yehuda Berg auf die Bühne. Er räumt das Pult zur Seite, damit er freier, lebendiger sprechen kann. Ein Mann der großen Geste! Die Kabbalisten lachen, wie auf Kommando. Offensichtlich räumt Yehuda Berg öfter Pulte zur Seite. Dann fängt er an zu reden.
Ich hatte mir, bei aller Skepsis, von Berg einiges erwartet. Charismatisch und redegewandt soll er sein, und weise noch dazu. Den »rabbi to the stars« nennt er sich, auf den Madonna, Demi Moore und andere Hollywoodgrößen hören. Doch der angeblich charismatische Gelehrte entpuppt sich als Nuschler mit Übergewicht, der nach Worten ringt, stottert, schwitzt, keucht und schnauft. In mühsam angejiddeltem Englisch erzählt er Platitüden darüber, dass man sich Erfolg nur vorstellen muss, um ihn zu bekommen. Dass man schöpferisch sein soll. Gewöhnliches Motivations-Blabla.
kommerz 90 Minuten dauert der Vortrag. Dann kommt die Veranstaltung zum Wesentlichen: Geld. Für 200 Euro wird ein Kabbala-Einsteigerkurs angepriesen. Im Foyer kann man Bücher und rote Bänder erstehen. Die »Schüler«, die den 200-Euro- Kurs buchen, werden hinterher in einen besonderen Raum geführt, in dem Berg Autogramme gibt und noch einmal beklatscht wird.
Die Presse wird des Zimmers verwiesen, die Tür wird geschlossen. Draußen vergleichen zwei Kabbalisten stolz und glücklich ihre roten Bänder, die sie vor dem bösen Blick bewahren sollen. Einfache rote Wollbänder, das Stück für 20 Euro. Eine Verkaufsveranstaltung ist das Ganze, mehr nicht, eine Eso-Butterfahrt.
Aber warum findet so was unter der Schirmherrschaft des Tempelhofer Bezirksbürgermeisters Ekkehard Band im Rathaus Schöneberg statt? Der Lokalpolitiker zeigt sich am nächsten Tag selbst überrascht. Der Unternehmer Ely Oknin, Vermittler zwischen dem Bezirk und der israelischen Partnerstadt Nahariya, sei an ihn herangetreten.
Auch die Informationsunterlagen – darunter ein Wikipedia-Ausdruck zur Kabbala, nicht aber zum Kabbalah Centre – ließen keinen Argwohn zu. Dass das Ganze letztlich nur eine kommerzielle Werbeveranstaltung war, davon fühlt sich der Bürgermeister überrumpelt.
Eines weiß ich jetzt: Das Kabbalah Centre und die Kabbala haben miteinander so viel zu tun wie koscher und treif. Wenn es um jüdische Mystik geht, bleibe ich in Zukunft bei Gershom Scholem.