Frankfurt/Main

Erinnern ohne Zeitzeugen

Am Rednerpult: Mark Dainow, Vizepräsident des Zentralrats Foto: Rafael Herlich

Von den jüdischen Gemeinden in Hessen, die in der Schoa zerstört wurden, sind die wenigsten nach 1945 wiedergegründet worden, weil es einfach keinen Bedarf mehr für sie gab: Von den ehemals 70.000 hessischen Juden haben nur etwa 1000 überlebt, von denen wiederum etliche Deutschland Richtung USA oder Israel verließen. Die meisten der zerstörten Gemeinden lagen abseits der großen Städte. Kaum etwas erinnert heute noch an sie.

In Anlehnung an das Synagogenprojekt »Mehr als Steine ...« in Bayern, in dessen Rahmen in den vergangenen Jahren mehrere Gedenkbände zur Geschichte jüdischer Gemeinden in Bayern und Unterfranken erschienen sind, haben Doron Kiesel, Wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden, Christian Wiese, Inhaber der Martin-Buber-Professur für Jüdische Religionsphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt, und Gury Schneider-Ludorff vom Institut für Christlich-Jüdische Studien an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau ein Kooperationsprojekt angestoßen: die Aufarbeitung und Dokumentation der Geschichte der jüdischen Gemeinden in Hessen und ihrer Synagogen. Das Ziel ist es, ein mehrbändiges »Synagogen-Gedenkbuch Hessen« herauszugeben.

Die internationale Konferenz findet anlässlich des 81. Jahrestages der Pogromnacht vom 17. bis 19. November in Frankfurt statt.

prozess Die internationale Konferenz »Die Zukunft der Erinnerung. Gedenkkultur und gesellschaftliche Verantwortung«, die anlässlich des 81. Jahrestages der Pogromnacht vom 17. bis 19. November in Frankfurt stattfindet, war laut Kiesel ein Teil des Prozesses, das hessische Synagogenprojekt auf den Weg zu bringen.

Ayse Asar, Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, sagte während der Eröffnungsveranstaltung die Unterstützung der Hessischen Landesregierung sowie ihres Ministeriums für das Projekt zu. Ebenso versprach Volker Jung, Präsident der Evangelischen Kirche Hessen-Nassau, finanziellen Beistand seiner Kirche. Das gelte, so Jung, auch für die katholischen Bistümer des Bundeslandes.

Darüber hinaus wollte die Konferenz aber auch »die Bedeutungswandlungen der Erinnerung an die Schoa und an die Geschichte jüdischen Lebens in Deutschland sowie die aktuellen Entwicklungen der erinnerungspolitischen Debatte, der Erinnerungsforschung und der Gedenkkultur« untersuchen, so der Einladungstext. Es ging darum, wie Erinnern und Gedenken an jüdisches Leben, an Verfolgung und Völkermord in Zukunft aussehen kann, da es bald keine Zeitzeugen mehr geben wird, die aus eigenem Erleben berichten können.

Es ging darum, wie Erinnern und Gedenken an jüdisches Leben, an Verfolgung und Völkermord in Zukunft aussehen kann, da es bald keine Zeitzeugen mehr geben wird.

landgemeinden Salomon Korn, Vorsitzender der Frankfurter Gemeinde, machte in seinem Grußwort deutlich: »Nichts ist für die Erinnerung wichtiger als die authentischen Orte.« Die meisten der 1938 deutschlandweit zerstörten Synagogen hätten in kleinen Landgemeinden gelegen – ein Erinnerungsprojekt könnte sie dem Vergessen entreißen. Was an der verhängnisvollen Geschichte natürlich nichts ändern könne: »Erinnerung ist immer auch mit Qual, mit Trauer verbunden«, so Korn.

Mark Dainow, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, nannte im Anschluss die Zahl von 450 jüdischen Gemeinden, die es im Jahr 1933 in Hessen gab – was zeigt, welche enorme Aufgabe vor den Mitarbeitern eines hessischen Synagogenprojekts liegt.

Dass der Zerstörungsprozess auch nach 1945 weiterging, daran erinnerte Frankfurts Bürgermeister Uwe Becker: Viele Synagogen wurden mangels Gemeinde erst nach dem Krieg abgerissen; noch kurz vor den Frankfurter Auschwitz-Prozessen in den 60er-Jahren seien die Reste einer früheren Synagoge für eine Straßenverbreiterung beseitigt worden.

Lesen Sie mehr in der kommenden Ausgabe am Donnerstag.

 

Fernsehen

»Persischstunden«: Wie eine erfundene Sprache einen Juden rettet

Das Drama auf Arte erzählt von einem jüdischen Belgier, der im KZ als angeblicher Perser einen SS-Mann in Farsi unterrichten soll. Dabei kann er die Sprache gar nicht

von Michael Ranze  25.04.2025

100 Jahre "Der Prozess"

Was Kafkas »Der Prozess« mit KI und Behörden-Wirrwarr gemeinsam hat

Seine Liebesworte gehen auf TikTok viral. Unheimlich-groteske Szenen beschrieb er wie kein Zweiter. In Zeiten von KI und überbordender Bürokratie wirkt Franz Kafkas Werk aktueller denn je - eben kafkaesk

von Paula Konersmann  25.04.2025

Reykjavik

Island fordert Ausschluss Israels vom ESC

Das Land schließt sich damit der Forderung Sloweniens und Spaniens an. Ein tatsächlicher Ausschluss Israels gilt jedoch als unwahrscheinlich

 25.04.2025

Popkultur

Israelfeindliche Band Kneecap von zwei Festivals ausgeladen

Bei Auftritten verbreiten die irischen Rapper Parolen wie »Fuck Israel«. Nun zogen die Festivals Hurricane und Southside Konsequenzen

von Imanuel Marcus  25.04.2025

Berlin/Brandenburg

Filmreihe zu Antisemitismus beim Jüdischen Filmfestival

Das Festival läuft vom 6. bis 11. Mai

 25.04.2025

Fernsehen

Ungeschminkte Innenansichten in den NS-Alltag

Lange lag der Fokus der NS-Aufarbeitung auf den Intensivtätern in Staat und Militär. Doch auch viele einfache Menschen folgten der Nazi-Ideologie teils begeistert, wie eine vierteilige ARD-Dokureihe eindrucksvoll zeigt

von Manfred Riepe  24.04.2025

Meinung

Nur scheinbar ausgewogen

Die Berichte der Öffentlich-Rechtlichen über den Nahostkonflikt wie die von Sophie von der Tann sind oft einseitig und befördern ein falsches Bild von Israel

von Sarah Maria Sander  24.04.2025

Imanuels Interpreten (8)

Carly Simon: Das Phänomen

Die Sängerin und Songschreiberin mit jüdisch-deutschem Familienhintergrund führt ein aufregendes, filmreifes Leben – Verbindungen zu einer singenden Katze, einem rollenden Stein, zu Albert Einstein und James Bond inklusive

von Imanuel Marcus  24.04.2025

Geheimnisse & Geständnisse

Plotkes

Klatsch und Tratsch aus der jüdischen Welt

von Imanuel Marcus  24.04.2025