Fernsehen

Er ist nicht Cohen und sie ist nicht Marianne

Szene aus dem Film: Leonard (Alex Wollf) liebt Marianne (Thea Sofie Loch Næss), die (noch) ahnungslos ist. Foto: NDR/Nikos Nikolopoulos

Dieses scharf profilierte, männliche und schöne Gesicht, in dem sich Mut, Kraft, Intelligenz und Innigkeit verbinden. Die tiefe, erotische Stimme, die Sensibilität und Weltwissen verströmt. Und ja, auch die Jüdischkeit, die er ausstrahlt: Leonard Cohen war ein Gesamtkunstwerk, dank YouTube ist er es, 2016 verstorben, noch immer. Allein das Video seiner wohl erotischsten Hymne, des Walzers »Dance me to the end of love« wurde auf der Streaming-Platform über 70 Millionen Mal angeklickt.

Somit ist es couragiert, wenn nicht gar heikel, Teile seiner jungen Jahre fiktional zu verfilmen, mit Schauspielern zu besetzen. Ein norwegisch- kanadisches Produktionsteam ist das Wagnis eingegangen. Die berühmte Liebesgeschichte zwischen dem Mittzwanziger Cohen und der nur wenig älteren Norwegerin Marianne Ihlen bildet die Folie zu So long, Marianne, einer achtteiligen Serie mit jenem Titel, der ein Welthit wurde.

Auf der griechischen Insel Hydra treffen sich Künstler und Aussteiger

Die Rahmenhandlung: Auf der griechischen Insel Hydra treffen sich Künstler und Aussteiger, Weltverbesserer und Glückssucher. In der Nähe des Hauses von Cohen malt Marc Chagall. Die schöne Norwegerin Marianne lebt dort unglücklich mit ihrem Freund, dem Schriftsteller Axel Jensen, bringt einen gemeinsamen Sohn zur Welt, wird verlassen. Cohen schreibt, zweifelt an sich, probiert Songs aus.

Marianne und Leonard verlieben sich, genießen die griechischen Farben, das Meer, die Freiheit und sind doch gebunden an ihre Herkunft, die bürgerlichen Elternhäuser, die eigenen Erwartungen und die konservativen Geschlechterrollen. Cohen gelingt der Durchbruch mit seinem ersten Album, er kehrt nach London und Montreal zurück, ihre Wege trennen sich, dennoch bleiben sie verbunden bis zum Tod.

»Nach wahren Motiven« erzählen Regisseur Øystein Karlsen und Koautor Jo Nesbø über sechs Stunden das Leben der Suchenden Leonard und Marianne. In Rückblenden lernen wir den depressiven Cohen in Montreal kennen, reisen mit Marianne und ihrem Freund im VW-Käfer über den Balkan.

Seltsam fremd und distanziert bleiben beide, trotz der Gefühlsgewitter, denen sie ausgesetzt sind und der Melancholie, die über ihren Beziehungen schwebt. Der Hauptgrund: Er ist nicht Cohen und sie nicht Ihlen. Sie spielen die Ideen des Regisseurs und des Drehbuchautors.

Die Ähnlichkeit des Hauptdarstellers mit Cohen im Seitenprofil verblüfft

Die Ähnlichkeit des Hauptdarstellers Alex Wolff mit Leonard Cohen im Seitenprofil verblüfft durchaus: schwarze Locken, große, schwarze Augen, das scheue Lächeln. Aber der Schauspieler aus New York, der auch ähnlich singt, wirkt körperlich im Vergleich zu Cohen schwach und begegnet der Welt seltener mit Poesie als mit Zynismus. Die Aura eines großen Künstlers ist nicht zu kopieren, zumal viele Cohen-Fans weltweit dessen Auftritte noch erinnern und digital bewundern können.

Cohen, der im Jom-Kippur-Krieg die israelische Armee mit Auftritten unterstützt. Cohen, der mit seiner Gitarre den Rebbe tanzen lässt. Cohen, der die Einsamkeit des Partisanen im Krieg mit den Deutschen beklagt. Nichts von dieser Energie stützt den jungen Cohen in der Fiktion. Das ist ihre Schwäche. Cohen umgab, dies zeigen Fotos und kurze Videosequenzen, schon als jungen Mann eine faszinierende, angeborene Vitalität. Sie fehlt in der Serie. Die norwegische Schauspielerin Thea Sophie Loch Naess (!) lässt vermissen, was Marianne für Cohen zur »schönsten Frau der Welt« machte: Zartheit und das gewisse Etwas, das aus landläufig hübschen Frauen große Musen werden lässt.

Marianne schaut meistens beleidigt und Leonard traurig ins Weite

Zusammenhanglos reihen sich die Episoden aneinander, weder gelingt es, die erotische Spannung zwischen beiden, noch Mariannes Inspirationen aufscheinen zu lassen. Marianne schaut meistens beleidigt und Leonard traurig ins Weite, ab und zu lachen sie, mal tanzt sie, mal raucht er, mal singt er ihr Kind in den Schlaf, mal klagt sie über jene Männer, die ihr Leben bestimmen.

Er erzählt über seine litauische Großmutter, küsst zu Hause die Mesusa, sie gibt ihr Baby am Flughafen ab, um mit Leonard im VW-Käfer von Hydra nach Oslo zu reisen. Die Dialoge sind oft banal, abgesehen von Leonards klugen Erkenntnissen aus Briefen, Songs und Romanen: »Der Teufel ist Gott, wenn er betrunken ist«, »Ich gehe auf Glasscherben und werde für immer bluten«, »Mein Haus ist 200 Jahre alt, so alt, wie ich mich fühle«.

Schließlich liegt die Greisin Marianne im Sterben. Wenige Monate vor seinem Tod schreibt ihr Leonard einen der großen Liebesbriefe der Weltliteratur: »Wir sind alt. Unsere Körper verfallen, und ich weiß, ich werde dir bald folgen. Ich bin so nah bei dir, hinter dir. Wenn du deine Hand ausstreckst, kannst du meine berühren. Ich habe dich immer für deine Schönheit und deine Weisheit geliebt, aber darüber muss ich nichts mehr sagen, denn du weißt es. Heute will ich dir nur eine sehr gute Reise wünschen. Goodbye old friend. Endless love, see you down the road.«

Verglichen mit Nick Broomfields Dokumentarfilm »Marianne & Leonard: Words of Love« bleibt die norwegisch-kanadische fiktionale Serie erstaunlich konturlos. Sie wird einem der wichtigsten Künstler unserer Zeit nicht gerecht.

Die Serie »So long, Marianne« ist in der ARD-Mediathek abrufbar.

Sendetermine im NDR Fernsehen: Mittwoch, 2. Oktober ab 23.30 Uhr, Folgen 1-4 (jede Folge á 50 Minuten)
Mittwoch, 9. Oktober ab 23.30 Uhr, Folgen 5-8 (jede Folge á 50 Minuten)

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