Zwei Namen, die in Israel nahezu jeder kennt und die in Deutschland dennoch kaum etwas evozieren: Natan Zach und Jehoschua Kenaz. Traurige Koinzidenz, dass beide hochberühmten Schriftsteller – der eine ein Lyriker, der andere Romancier und Novellist – nun innerhalb kurzer Zeit gestorben sind.
Zach wurde beinahe 90 Jahre alt, Kenaz war zuvor mit 83 Jahren an den Folgen von Covid-19 gestorben. Mit beiden verliert die israelische Literatur zwei dezidiert solitäre Stimmen, auf hiesige Leser indessen wartet eine ganz und gar wunderbare (Wieder-)Entdeckung.
gegenwartslyriker Natan Zach, geboren 1930 in Berlin als Harry Seitelbach, galt in Israel nicht nur der älteren Generation als bedeutendster Gegenwartslyriker, der bereits Mitte der 50er-Jahre die hebräische Literatur revolutioniert hatte. Denn auch die Nachgeborenen kennen viele von Zachs Gedichten – zumindest in ihrer Vertonung als populäre Songs.
Ähnlich wie Jehuda Amichai hatte auch Zach als junger Dichter einem damals vorherrschenden, an Symbolismus und Expressionismus geschulten Stil misstraut und sich auch thematisch von jeglichem hohen (Staatsaufbau-)Ton distanziert. Seine Polemik gegen das seinerzeit ehrfürchtig bestaunte Werk des Nationaldichters Nathan Alterman war deshalb nicht nur in Fachkreisen wahrgenommen worden, sondern markierte tatsächlich einen poetischen Modernitäts- und Individualisierungsschub.
Ähnlich wie Jehuda Amichai hatte auch Natan Zach als junger Dichter einem damals vorherrschenden, an Symbolismus und Expressionismus geschulten Stil misstraut.
Unerklärlich, dass hierzulande die suggestive Lakonie von Zachs Gedichten bislang nur in einem einzigen, 2013 bei Suhrkamp erschienenen Band entdeckt werden konnte. »Erlischt das Gefühl, so spricht das wahre Gedicht. / Bis dahin sprach das Gefühl, das andere Gedicht.« Will heißen: Die Kartografie von Seelenlandschaften verträgt weder Überschwang noch Klischee.
souveränität Was für ein Beweis von Souveränität, dass Zach das Unsagbare dennoch nie zum Kult erhoben hatte und noch in der Beschreibung der Missverständnisse von geradezu kristalliner Transparenz blieb: »Wir / lasen die / Keilinschriften: sie sprachen von uns, / darum verstanden wir sie nicht.« Auch nach seinem Tod wartet auf Leser in Deutschland eine große, erhellende Entdeckung.
Auch Jehoschua Kenaz, geboren 1937 in Petach Tikwa, ist trotz einiger auf Deutsch übersetzter Bücher hierzulande nie so recht bekannt geworden. Lag es womöglich daran, dass er nicht das war, was man gemeinhin unter einem »engagierten Intellektuellen« versteht? Hinzu kam eine stilistische Besonderheit: Pastiche statt Panorama, Episode statt Epik.
Denn auch, wenn viele seiner Bücher in Moschavim oder Tel Aviver Mehrfamilienhäusern spielen – der ebenso eindringlich wie dezent schreibende Autor pinselt nicht naturalistisch, sondern tupft an.
atmosphäre Ob ein bejahrter Vater von seinem Sohn ins Krankenhaus gebracht wird oder eine im Grunde genommen banale Armee-Begebenheit die Psyche aller Beteiligten für immer prägen wird, ob eine um einen Mitbewohner besorgte Hausgemeinschaft bald in Hysterie abkippt oder ein Pornofilm-Abend am altertümlichen Projektor und anderen Widrigkeiten scheitert: Schon ab der ersten Zeile ist da diese Kenaz-Atmosphäre und ein unverwechselbarer Stil, ethisch fassungslos und gleichzeitig – im wahrsten Wortsinn – ästhetisch gefasst angesichts all dieser menschlichen Absurditäten.
Auch Jehoschua Kenaz hatte sich in den frühen 60er-Jahren von der literarisch eindimensionalen Doktrin eines Aufbau-Elans abgewandt.
Auch Jehoschua Kenaz hatte sich in den frühen 60er-Jahren von der literarisch eindimensionalen Doktrin eines Aufbau-Elans abgewandt, und doch – oder gerade deshalb – zeugen seine zahlreichen, mehr oder minder sympathischen, jedoch stets verblüffend fein nuancierten Protagonisten von der fortwährenden Lebendigkeit der israelischen Gesellschaft.
Wer neugierig ist auf das Universale der condition humaine in seiner ganz speziellen lokalen Ausprägung, der lese diesen Autor – ein veritabler Kosmos ist hier zu entdecken.
beobachtungsgenauigkeit Wie Natan Zach in seinen Versen bereits die unerfreuliche Zeit des hohen Alters antizipiert hatte, so hatte auch Kenaz, der seine letzten Jahre in Demenz verbringen musste, das Kommende vorausgeahnt. Doch er hob es im wahrsten Wortsinn auf: In seinem Roman Auf dem Weg zu den Katzen kompensiert nämlich in einem Altersheim eine gewisse Jolanda Moskowitsch ihre physische Schwäche mit einer Beobachtungsgenauigkeit sondergleichen, die schließlich sogar ihren Körper für eine Weile zurückzwingt ins sogenannte »normale Leben«.
Und was wüssten wir, Staunende und Daseinsdankbare späterer Generationen, von all diesen ganz realen Alltagswundern, hätte es diese beiden Schriftsteller nicht gegeben: Natan Zach und Jehoschua Kenaz.