Unter renommierten männlichen Filmemachern im besten Alter scheint es dieser Tage geradezu zum guten Ton zu gehören, sich filmisch der eigenen Kindheit zu widmen und nebenbei gleich auch noch von der Magie des Kinos zu erzählen. Kenneth Branagh hat mit Belfast vorgelegt, gerade zog Steven Spielberg mit seinen wunderbaren Fabelmans nach, und nun folgt auch noch Sam Mendes mit Empire of Light.
Was das Autobiografische angeht, hält sich der Brite verglichen mit seinen Kollegen eher zurück. Ein Mendes-Alter-Ego kommt in seiner Geschichte nicht vor, einen kindlichen oder jugendlichen Protagonisten und dessen Perspektive sucht man hier vergeblich. Vielmehr stand die jüdische Mutter des Regisseurs Pate, die ihn ab seinem dritten Lebensjahr allein großzog, nachdem die Ehe der Eltern geschieden worden war. Ihre Religion kommt nun allerdings nachvollziehbarer Weise im Film nicht vor.
JÜDISCHSEIN »Ich hatte nie die Möglichkeit, mich dafür zu entscheiden, ob ich diesem religiösen Werte- und Glaubenssystem folgen will oder nicht«, sagte Mendes im vergangenen Jahr in einem Interview mit Blick auf die Tatsache, dass das Jüdischsein für seine Mutter und damit auch in seiner Jugend und Erziehung nie auch nur die geringste Rolle gespielt hat.
Was dagegen in Empire of Light sehr präsent ist, ist die bipolare Störung, an der Valerie Mendes genauso litt wie nun die Protagonistin Hilary Small (Olivia Colman). Hilary ist Anfang der 80er-Jahre leitende Angestellte im Empire-Kino im Küstenort Margate, eine pflichtbewusste und einsame Frau, die sich von ihrem verheirateten Boss (Colin Firth) immer wieder zu lieblosem Büro-Sex überreden lässt und ansonsten ein durch Lithium halbwegs in der Balance gehaltenes Leben führt.
In das kommt allerdings neuer Schwung, als Stephen (Micheal Ward) im Kino anheuert, ein junger Schwarzer, mit dem Hilary eine unerwartete Affäre beginnt. Doch die Unterschiede zwischen den beiden bringen ihre Schwierigkeiten mit sich, und dass Hilary irgendwann ihre Medikamente absetzt, hat erst recht einschneidende Folgen.
SETTING Englands Südosten und das Kino in Margate (das als Gebäude dort tatsächlich noch steht und in Betrieb ist) sind ein wunderbares Setting für diesen Film, und Ausnahme-Kameramann Roger Deakins, mit dem Mendes hier bereits zum fünften Mal zusammenarbeitet, fängt dies auf gewohnt betörende und zu Recht Oscar-nominierte Weise in seinen Bildern ein.
Auch auf Oscar-Gewinnerin Olivia Colman ist Verlass: Einmal mehr stellt sie in dieser Rolle, die zwischen emotionalen Extremen wie dumpfer Stille und lauten Ausrastern pendelt, ihre schauspielerische Bandbreite unter Beweis. Und harmoniert auf spannende Weise mit ihrem jungen, charismatischen Kollegen Micheal Ward, den man bereits aus der Serie Top Boy und Steve McQueens Lovers Rock kennt.
Dass Empire of Light trotzdem schwächelt, liegt vor allem am Drehbuch. Die längste Zeit seiner Karriere verließ sich Mendes auf die Geschichten anderer, nicht zuletzt auch am Theater, wo er jüngst (zunächst in London, dann auch in New York und Los Angeles) das Stück The Lehman Trilogy von Stefano Massini, adaptiert von Ben Power, auf die Bühne brachte und dabei so sehr wie nie auch die jüdischen Wurzeln seiner Familiengeschichte auslotete. Für seinen neuesten Film nun zeichnet er erstmals als alleiniger Autor verantwortlich – und hat sich dabei ein wenig verhoben.
So sehr ist der Blick auf die Protagonistin von den Erinnerungen an die eigene Mutter geprägt, dass die Auseinandersetzung mit deren komplizierter Psyche zwangsläufig eine äußerliche und letztlich etwas oberflächliche bleibt. Und weil es außer um mentale Gesundheit eben auch um die erstickende Enge in der englischen Gesellschaft der frühen Thatcher-Jahre, um brutalen Rassismus und eben die Kraft des filmischen Erzählens geht, kann man sich am Ende des Eindrucks nicht erwehren, dass hier ein paar Themen zu viel verhandelt werden. Wirklich gerecht wird der Film dabei am Ende, trotz einiger sehr berührender Szenen, leider keinem.
Der Film läuft ab 20. April im Kino.