Normalerweise ist es für Autoren ein Glückstreffer, wenn das Thema ihres neuesten Buches durch Ereignissen ganz plötzlich an Aktualität gewinnt. Doch ob sich Jake Wallis Simon, der Autor von Israelphobie wirklich darüber freuen konnte, darf bezweifelt werden. Denn in seinem Fall waren es das Massaker des 7. Oktober 2023 und die schockierenden Reaktionen sowohl in migrantischen Milieus als auch in Teilen des bürgerlichen, linksliberalen Lagers, die den Analysen des Herausgebers des »Jewish Chronicle«, der ältesten jüdischen Zeitung der Welt, eine erschreckende Relevanz verliehen.
»Die Abneigung gegen Israel ist zu einem Kennzeichen progressiver Leute geworden, die ganz wesentlichen Einfluss auf unsere Kultur haben«, schreibt Wallis Simon. Dabei fällt ihm auf, dass manche Argumentationsmuster, die gegen den jüdischen Staat in Stellung gebracht werden, nicht nur kontrafaktisch sind. Sie stehen in vielerlei Hinsicht eigentlich im absoluten Gegensatz zu den Überzeugungen derer, die sie so lauthals vertreten. »Diese Mischung aus bürgerlichem Liberalismus, Globalismus und altmodischem Sozialismus ist so sehr auf >Rasse< fixiert, wie man es normalerweise nur von den extremen Rechten kennt.«
Für ihn hat das eine Menge mit den verschiedensten Formen des Judenhasses aus den vergangenen Jahrhunderten zu tun, die trotz der Schoa und der konsensuellen Ächtung des Antisemitismus danach in Restbeständen – bewusst oder unbewusst – weiterhin vorhanden waren und sich nun zurückmelden. Nur haben diese Ressentiments, die nicht selten sogar zu einer handfesten Weltanschauung amalgamieren, eine bemerkenswerte Wendung vollzogen, konzentrieren sich voller Verve nun auf den jüdischen Staat.
Man fabuliert von der allmächtigen »Israel-Lobby« und ihren finsteren Bestrebungen
Man spricht also nicht mehr von jüdischer Rachsucht, vom Schlachten christlicher Kinder zwecks Matze-Backen oder den Machenschaften des jüdischen Finanzkapitals, sondern von »ethnischer Säuberung« durch Zionisten, nennt Israel einen »Kinder-Mörder« oder fabuliert von der allmächtigen »Israel-Lobby« und ihren finsteren Bestrebungen.
Und weil es sich dabei nach Meinung des Autors um die modernste Form des Antisemitismus handelt, braucht es auch einen Begriff, um diese zu benennen, das erklärt den Titel des Buches. »Israelphobie ist eine vertraute Sprache, in einem neuen Akzent gesprochen, oder wie eine hasserfüllte Erzählung, in einer anderen Schriftart geschrieben, oder wie ein Remake eines widerwärtigen Klassikers«, skizziert Wallis Simons die Bedeutungsebenen. Sie ist quasi der Elefant im diskursiven Raum. Oder anders ausgedrückt: »Worte sind mächtig. Die Sprache der sozialen Gerechtigkeit ist ein trojanisches Pferd, das den alten Hass namens Antisemitismus im Mainstream salonfähig gemacht hat.«
»Die Sprache der sozialen Gerechtigkeit ist ein trojanisches Pferd, das den alten Hass namens Antisemitismus im Mainstream salonfähig gemacht hat.«
Was Israelphobia so wichtig für das Verständnis der aktuellen Debatten macht, ist die minutiöse wie auch luzide Darstellung der Genese einiger zentraler Formeln und Bilder, die die Feindschaft und den Hass gegen Israel transportieren – beispielsweise die Phrase »Zionismus ist Rassismus«. Wallis Simons zeigt auf, wie diese in den Zeiten des Kalten Krieges von Moskau erst ins Leben gerufen wurde, um Israel, das wenig Ambitionen spürte, sich im Dunstkreis des Ostblocks zu bewegen, zu desavouieren und zu dämonisieren, und später in den progressiven Zirkeln und der Dritte-Welt-Bewegung Furore machen sollte.
Seine Lektüre kann vielleicht dem einen oder anderen »Israel-Kritiker« dabei helfen, zu erkennen, auf welch sinistren Traditionen seine Argumente basieren. Leider ist es nicht voluminös genug, um es denjenigen, die sich als absolut faktenresistent erweisen, nicht nur sprichwörtlich um die Ohren zu hauen.
Jake Wallis Simons: »Israelphobie – Die unendliche Geschichte von Hass und Dämonisierung«, Edition Tiamat, Berlin 2023, 238 S., 24 €