»Pizza ist ein Stück Kuhfladen mit Tomatensauce und schmeckt wie toter Friseur«, ätzte vor genau 50 Jahren ein gewisser Alfred Tetzlaff herum, in der Fernsehserie Ein Herz und eine Seele.
Es war die Geburtsstunde von »Ekel Alfred« als bundesweit bekanntem Querulanten in der ersten, am 15. Januar 1973 ausgestrahlten Folge »Das Hähnchen«. Aufgezeichnet in den Studios des WDR, vor Publikum, das selbst so wirkte wie die spießige Welt des Alfred Tetzlaff und seiner Familie.
Der Aufschrei war laut und kam von allen Seiten. Die einen erblickten sich im Spiegel, fühlten sich beleidigt und ertappt. Die anderen befürchteten, mit »Ekel Alfred« werde die nur schlummernde rassistische und antisemitische Gemütslage der Deutschen zu neuem Leben erweckt.
WILLY BRANDT Vor allem die regierende SPD, gegen deren Kanzler Willy Brandt »Ekel Alfred« bevorzugt hetzte (»norwegische Kanzler sind die besten«), tat sich schwer mit so viel Ironie und Meinungsfreiheit und drängte auf Entschärfung. Und so wurde die Sendung nach nur 16 Folgen beim WDR erst einmal eingestellt, dann von der ARD wieder aus dem Archiv gezogen und geglättet. Auch Alfred Tetzlaffs Welt war nicht mehr ganz so schwarz-weiß. Die neue Fassung der Serie floppte und wurde nun endgültig eingestellt.
Manche Fans bedachten den »Ekel Alfred«-Darsteller auf der Straße mit dem Hitlergruß.
Mir war’s recht, ich mochte das Ekel nie und habe mir Alfred mit seinem feschen Hitlerbärtchen, das anfänglich übrigens noch ein normaler Schnurrbart war, dennoch angesehen. Damit war ich in guter Gesellschaft. Selbst der Schauspieler Heinz Schubert, der den Alfred gab, gestand später, er habe diesen Typen nie gemocht. Das mag auch daran gelegen haben, dass die Menschen Schubert auf der Straße erkannten und ihn schon mal freudig mit einem Hitlergruß bedachten.
Kein Wunder in einer Zeit, in der 50 Prozent der Bundesbürger noch der Meinung waren, der Nationalsozialismus habe auch seine guten Seiten gehabt wie Ruhe, Ordnung, Disziplin und weniger Verbrechen.
»FREMDARBEITER« Auch die damals noch »Gastarbeiter« genannten italienischen Arbeitsmigranten sollten unter sich bleiben, meinten 61 Prozent der Befragten, und neue sollten nicht mehr hereingelassen werden. Dass »Ekel Alfred« sie »Fremdarbeiter« nannte, hatte dabei seinen speziellen Charme.
Wie muss Wolfgang Menge, dem Autor von Ein Herz und eine Seele, zumute gewesen sein, als er feststellte, wie viele diesem ekelhaften Charme erlagen? Seine jüdische Mutter Golda hatte die Schoa in Deutschland überlebt– sie war mit einem nichtjüdischen Mann verheiratet.
Wolfgang Menge, einer der Leuchttürme des deutschen Fernsehens, ein Visionär und Warner des Mediums (Das Millionenspiel, 1970), hatte mit »Ekel Alfred« die englische Sitcom Till Death Us Do Part in deutsche Herzen transkribiert.
Doch was im Mutterland der Demokratie ungefährlich war und selbstverständlich als Ironie verstanden wurde, war hierzulande durchaus ein Wagnis, denn es setzte Vertrauen in die demokratische Widerstandsfähigkeit des neuen Deutschland voraus. Menge hatte das. Umso entsetzter war er, als er feststellten musste, wie begeistert und schulterklopfend seine Figur Alfred bei den Deutschen aufgenommen wurde.
Ein »verachtenswertes Subjekt mit ewiggestrigen Ansichten« habe er schaffen wollen, dann aber feststellen müssen, wie viel »innerer Alfred« bei den Deutschen noch abrufbar war. Das muss den fast scheuen und in Gesprächsrunden zu seinem TV-Hit auffallend stillen Wolfgang Menge besonders getroffen haben.
Die ersten Folgen von Ein Herz und eine Seele waren in Schwarz-Weiß gedreht. Es war die Zeit, als ich noch aufstehen musste, um am Fernsehapparat den Sender zu wechseln. Fast ein halbes Jahrhundert später sehe ich nun Alfred wieder, in einer Zeit also, in der brutaler Sexismus und Antisemitismus als Hip-Hop erfolgreich sind.
WARNHINWEIS Trotzdem versieht die ARD die auf YouTube abrufbaren Folgen vorsichtshalber mit einem Warnhinweis. Es handle sich um ein fiktionales Programm, das man im Original zeige, auch wenn es »in Sprache und Form aus heutiger Sicht diskriminierend wirken« könne.
TV-Autor Wolfgang Menge beschwichtigte alle Skeptiker: »Alfred siegt nie.« Mag sein, aber die neuen Alfreds rüsten auf.
Sicher, Alfred Tetzlaffs Fäkalsprache und sein hemmungsloser Gebrauch rassistischer und frauenfeindlicher Sprache widersprechen dem mittlerweile herrschenden Konsens dessen, was man sagen darf und was nicht. Die Sprachsensibilität ist eine große Errungenschaft. Auch deshalb wäre eine Neufassung von Ein Herz und eine Seele kaum möglich.
Ohnehin ist Alfred Tetzlaff heute beim Wiedersehen nur noch eine Karikatur, eine verkrachte, schmuddelige Existenz ohne jedes Fünkchen Verführungskraft, schlicht lächerlich. Seine spießigen Zoten von damals wirken öde und harmlos. Das Lachen bleibt einem heute aus anderem Grund im Hals stecken. Die Enkel des Ekels brauchen das Fernsehen nicht mehr für ihre Müllablage. Sie äußern sich in den sozialen Medien oder gleich in den Parlamenten, sonnen sich, vor allem in den neuen Bundesländern, in ihren fetten Umfragewerten.
Er habe nur eine »kleine billige Unterhaltungssendung ohne jeden Anspruch« machen wollen, sagte Wolfgang Menge und beschwichtigte alle Skeptiker: »Alfred siegt nie.« Mag sein, aber die neuen Alfreds rüsten auf.