Katharine Graham hatte bis dahin nie arbeiten müssen in ihrem Leben. Die Tochter des jüdischen Unternehmers und ersten Weltbank-Chefs Eugene Meyer, der im Jahr 1933 die »Washington Post« kaufte, genoss vielmehr das Leben eines Sprösslings aus wohlhabendem Hause, ausgestattet mit Bildung und erstklassigen Manieren.
Nach ihrer Heirat übernahm ihr Mann den Posten des Verlegers der renommierten Zeitung – und hatte diesen inne, bis er sich 1963 erschoss. Katharine Graham, Kay genannt, bis dato einzig Ehefrau sowie Mutter von vier Kindern, sah sich unversehens an der Spitze des Traditionsblattes – ausschließlich umgeben von Männern, die alles besser zu wissen glaubten als sie.
Vietnamkrieg In der entscheidenden Szene von Steven Spielbergs neuem Film Die Verlegerin sieht man Graham, noch im Festgewand, nach einer Party im Juni 1971 in ihrem Haus, um sie herum Berater, Mitglieder des Vorstands und Meinungsführer. Die Stimmung ist äußerst angespannt; eine essenzielle Entscheidung ist zu treffen: Sollen brisante Dokumente zum Vietnamkrieg, die 1967 von Verteidigungsminister Robert McNamara verantwortete Studie »United States – Vietnam Relations, 1945–1967«, in der Washington Post gedruckt werden oder nicht?
Doch es geht natürlich um mehr als diese geheimen Pentagon-Papiere – nämlich um die Frage, wie furchtlos und unabhängig die Presse als Hüterin demokratischer Interessen agiert gegenüber einem Staat samt Präsidenten, der ihre Freiheit beschneiden will. Das ist Graham sehr wohl klar in dieser Nacht, und so sagt sie im Sturm versuchter Einflussnahmen und trotz drohender Gefängnisstrafe wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen plötzlich leise, aber bestimmt: »Wir drucken!«, obwohl die meisten dieser Männer um sie herum ihre Worte nicht ernst nehmen wollen, ja, sie für nicht ganz bei Sinnen halten.
Diese Szene ist groß in diesem groß und grundsätzlich angelegten Film. Groß, weil nichts auf eine vorhersagbar pädagogische Emanzipationsgeschichte abzielt, sondern weil Meryl Streep als Kay Graham vielmehr zur Gänze und mit einem Mal aus ihrer Figur herausbrechen lässt, was sich in dieser an uramerikanischen Werten akkumuliert hat im Verlauf ihres Lebens: Freiheitsliebe, Unabhängigkeitsstreben, Verantwortungsbewusstsein sowie Risikobereitschaft auch im Willen, politisch zu handeln.
Gefängnis Damals setzte Graham alles aufs Spiel: ihren Ruf, ihr Vermögen, das Wirkungsfeld. Im schlimmsten Fall drohte ihr das Gefängnis. Heute weiß man: Sie hat sich durchgesetzt. Ihr umfangreiches Memoirenwerk trägt den Titel Wir drucken! (1999). Steven Spielberg hat auf dieses Buch, Dokumente und Gerichtsakten für seinen neuen Film zurückgegriffen, der erstmals diese drei Hollywoodlegenden in der Zusammenarbeit vereint: den Regisseur selbst, Meryl Streep in der Titelrolle und Tom Hanks als Chefredakteur Ben Bradlee.
Bei seiner »Verlegerin« konzentriert sich Spielberg allerdings auf die in mehrfacher Hinsicht entscheidenden Tage in Grahams Leben: jene Sommerwoche im Jahr 1971, als sich in der Frau, die zu allen freundlich war und stets verhalten mit angenehmer Stimme sprach, die »eiserne Lady des US-Journalismus« offenbarte.
Natürlich ist Die Verlegerin im Blick auf die Vergangenheit auch ein Film über unsere Gegenwart: über heutige Medien in den Zeiten von Donald Trumps »Fake News« und des Totalgebots »nationaler Sicherheit«, aber auch über das Joch finanzieller Zwänge. Spielberg versteht seine Rolle hier offensichtlich als Anwalt des »First Amendment«, als Mahner und Kämpfer für die Verfassungsrechte, die Meinungs- und Pressefreiheit. Die Verlegerin ist ein einziger großer Appell. Dabei geht es Spielberg weniger um Thrills, auch wenn es durchaus einige Spannungsmomente gibt.
Konflikt Nun sind Filme über Journalisten im Besonderen und die Presse im Allgemeinen im Hollywoodkino stets grundsätzlicher Natur; man denke nur an Die Unbestechlichen oder – in jüngerer Zeit – Spotlight und State of Play. Alle handeln sie letztlich vom Konflikt zwischen Presse und Politik und der Verantwortung der vierten Macht im Staat. Die Verlegerin irritiert – und überzeugt – indes durch die ungebrochene Entschiedenheit, mit der das Beispiel zwar auch konfliktreicher wird, aber doch gute alte Zeiten beschworen werden in schlechten neuen.
Heutige Journalisten werden dem Zeitungmachen damals in Spielbergs Variante mit Rührung folgen: Hochbrisante Dossiers bringt der Botenjunge hier im Laufschritt als Papierbündel vorbei, Schreibmaschinen klappern unaufhörlich, und altertümliche Telefone klingeln. Zum konspirativen Gespräch mit seiner Quelle sucht sich der Reporter einen Münzapparat in der Stadt.
Die Schauplätze dieses Films, der die geistige Freiheit und journalistische Unabhängigkeit feiert, sind örtlich beschränkt – holzgetäfelte Vorstandsetagen, die teuersten und besten Restaurants, Grahams und Bradlees Häuser, aber das Geschehen spielt sich natürlich vor allem in den Redaktionsräumen der Washington Post ab – und in denen der »New York Times«. Man konkurrierte erbittert und versuchte durchaus, einander zu schaden und auszuspionieren.
Enthüllungen Die New York Times hatte die Geschichte über die Pentagon-Papiere zuerst gebracht, woraufhin deren Erscheinen gerichtlich unterbunden wurde. In diesem Moment veröffentlichte die Washington Post die Enthüllungen, die sogleich landesweit von Regionalzeitungen aufgegriffen wurden. Im Film formt sich im Netz all der Entscheidungskorridore und Telefonleitungen indes das interessante Bild einer Gesellschaft im Umbruch. Anfangs ziehen sich die Frauen, darunter auch Graham, in einen anderen Raum zurück, um Stil- und Ehefragen zu besprechen, während die Männer im Zimmer gegenüber über Politik reden.
Dass man sich mit einer Fotoreportage über Patricia Nixons Hochzeit nicht zur meinungsführenden Zeitung aufschwingen wird, ist der ernüchternde Ausgangspunkt einer Dramaturgie, die den individuellen Sieg Kay Grahams über ihre damals geschlechtstypische Konditionierung und die lautstarken Männer in einen kollektiven Triumph münden lässt: Zeitung mache man für die Regierten, nicht für die Regierenden, sagt Graham an einer Stelle des Films. Nach dem »Pentagon Papers«-Gerichtsurteil zugunsten der Presse defiliert sie an zahlreichen, sie bewundernden jungen Frauen vorbei.
Die Zusammenarbeit von Katharine Graham und Ben Bradlee umspannte insgesamt drei Jahrzehnte und die Regentschaft von vier US-Präsidenten. Im Jahr 2013 kaufte der Amazon-Gründer Jeff Bezos die Zeitung. Jener Ausblick auf den Watergate-Skandal, mit dem Die Verlegerin endet, lässt einen auf einen entsprechenden Spielberg-Film hoffen.
»Die Verlegerin«, USA 2017. Regie: Steven Spielberg. Mit Meryl Streep und Tom Hanks. Ab 22. Februar im Kino.