Einstein hat sich die Formel E = mc² rechts auf den Hals tätowiert. Das Konterfei von Alfred Nobel prangt auf seinem rechten Arm, gut sichtbar, schließlich trägt Einstein ein lässiges ärmelloses Shirt. Ben Gurion trägt dagegen ein pinkfarbenes Hawaiihemd mit vielen kleinen Ananas und schaut mit seiner schwarzen Sonnenbrille entspannt in die Ferne. Angela Merkel dagegen ist gepierct, trägt einen Nasenring, schwarzen Lippenstift und einen schwarzen Hut.
Die Welt steht Kopf bei Amit Shimoni: Der Tel Aviver Künstler verwandelt bekannte Politiker von Golda Meir bis Trump sowie andere Prominente in Hipster – Hipstory heißt das Projekt. Dabei waren die digital gezeichneten Porträts eigentlich nur die Rettung in letzter Minute für seine Projektarbeit während des Studiums vor zwei Jahren. Dass daraus einmal ein weltweiter Erfolg werden würde, hätte Amit damals nicht für möglich gehalten.
GOLDKETTE Heute sitzt Amit Shimoni auf der riesigen Dachterrasse des »Roten Hauses«, einer Art Coworking Space für Künstler in Shapira. In den unterschätzten Stadtteil ganz im Süden von Tel Aviv strömen neuerdings vor allem junge Tel Aviver, auf der Flucht vor den horrenden Mietpreisen im Zentrum. Amit, 29 Jahre alt, Bart, schwarzes Shirt und Goldkette um den Hals, zieht an seiner Zigarette und erklärt, wie er hier gelandet ist, obwohl er doch eigentlich Artdirector in einer Werbeagentur werden wollte.
Für seine Abschlussarbeit in Digitalem Design an der Akademie Bezalel in Jerusalem wollte er ursprünglich eine riesige Illustration anfertigen. Seine Idee: Negev-Land, eine Art Insel in der Wüste, mit dem Turm von Pisa, dem Eiffelturm und Hunderten anderer Sehenswürdigkeiten, vor denen Israelis Selfies schießen können, ohne dafür ins Ausland fahren zu müssen. Die Botschaft: Kritik am Reiseverhalten seiner Landsleute. Doch Monate vergingen, und Amit hatte nur einen einzigen Entwurf: den Repräsentanten von Negev-Land, Ben Gurion in ebenjenem Ananashemd – ein Gründervater aus der Generation seiner Großeltern in Klamotten, die Amit und seine Freunde heute tragen.
»Ich habe das Bild auf Facebook gestellt und wurde mit positiven Rückmeldungen überschwemmt«, erzählt Amit. »Kurz darauf sah ich einen Hipster, der aussah wie Herzl.« Er zeichnete auch diesen Pionier als Hipster. Es folgten Golda Meir und Moshe Dayan. Die Facebook-Crowd jubelte.
PANIK Doch sein Studienprojekt geriet ins Stocken, ein Monat vor Abgabe hatte er nur acht der geplanten 200 Illustrationen fertiggestellt, aus Panik wurde beinahe eine Depression. »Ich war damals in Berlin unterwegs und telefonierte mit Noga, meiner Freundin. Sie meinte, ich soll stattdessen doch lieber die Hipster-Bilder nehmen.«
Auf ursprünglich zwölf Porträts von israelischen Pionieren folgte die Hipsterisierung von Churchill, Putin und Obama.
Die Gründerväter mit großen Ideen für Israel im Kontrast zu den heutigen, internationalen Tel Avivern, die Hipster-Trends hinterherjagen, einzigartig sein wollen und am Ende doch gleich aussehen – das Konzept wurde zu seinem Abschlussprojekt und Monate später zu einem Verkaufsschlager. Und Freundin Noga zu seiner Ehefrau, mit der er heute gemeinsam mit Hund Adam in Tel Aviv lebt.
Auf ursprünglich zwölf Porträts von israelischen Pionieren folgte die Hipsterisierung von Churchill, Putin und Obama; ständig kamen neue Köpfe hinzu. Händler in aller Welt begannen, seine Werke zu verkaufen, auch online bestellten Kunden die Bilder. »Zunächst wollte ich trotzdem noch Artdirector werden. Einer Werbeagentur habe ich damals gesagt: Gebt mir zwei Monate für dieses Projekt, dann fange ich bei euch an!«, erinnert sich Amit. Daraus wurde bis heute nichts. Zu erfolgreich sind seine Bilder.
Amit, der anfangs nur von zu Hause aus gearbeitet hat, sitzt heute im Roten Haus, zwei Mitarbeiter kümmern sich um das Management. Und immer wieder kommen neue Anfragen herein. »Das Abraham-Hostel in Tel Aviv bestellte Abraham als Hipster, und neulich bat mich ein Sport-Start-up um die Porträts dreier Sportler.«
CHRUCHILL Mittlerweile zieren seine Werke auch die Wände von Schulen weltweit. »Ich habe von Lehrern gehört, die ihren Schülern mein Churchill-Bild zeigen, bevor sie über den Zweiten Weltkrieg sprechen. Plötzlich können sie mit den Jugendlichen kommunizieren. Auf einmal gibt es eine Verbindung zwischen ihnen und dem alten Mann, der sonst nur einer von vielen Typen auf einem Schwarz-Weiß-Bild wäre.«
Seine Bilder sind so gefragt, dass auf dem Schuk HaCarmel sogar Fälschungen von ihnen angeboten werden. Amit schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: »Mir zeigen immer mal wieder Leute aus Thailand oder sonst wo T-Shirts mit meinen Bildern und sagen: Hey, ich finde deine Kunst großartig.« Dabei bedruckt Amit gar keine T-Shirts.
Wie es für Amit Shimoni nun weitergehen wird? Aus der Karriere als Artdirector wird wohl auch weiterhin erst einmal nichts werden. Zu viele Ideen für neue Hipsterporträts fallen ihm immer wieder ein. Die Hipsterisierung der Welt geht weiter.