Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich diesen Text schreiben soll. Nicht immer ist es die beste Form, sich öffentlich zu einer Sache zu äußern. Manchmal ist es Erfolg versprechender, Gespräche »unter drei« zu führen, um Missstände zu verändern.
In diesem Fall aber verhält es sich anders: Hier sehe ich keine andere Möglichkeit. Es muss klar und deutlich gesagt werden, dass das Jüdische Museum Berlin ein gravierendes Problem hat und auf skandalösen Abwegen ist, die noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen wären.
Kritik Worum also geht es? Im Dezember 2017 eröffnete das Jüdische Museum seine groß angekündigte Ausstellung Welcome to Jerusalem. Seitdem reißt die Kritik an Deutschlands größtem Jüdischen Museum nicht mehr ab. Die Ausstellung wurde immer wieder als einseitig bezeichnet, als pro-palästinensisch, gar als israelfeindlich.
Das Jüdische Museum Berlin hat ein gravierendes Problem und ist auf skandalösen Abwegen unterwegs.
Doch nicht nur das: Parallel zur viel diskutierten Ausstellung standen das Museum und sein seit 2014 amtierender Direktor Peter Schäfer immer wieder massiv in der Kritik: wegen seiner Einladung israelfeindlicher Referenten; wegen mangelnder Abgrenzung zu »Israelkritikern«; wegen der Negierung des muslimischen Antisemitismus; wegen der Tagung Living with Islamophobia und ihrer einseitigen Ausrichtung sowie Aussparung jüdischer Themen; und nicht zuletzt wegen der Einladung des Kulturrats der iranischen Botschaft, also eines Regimes, das Israel auslöschen will und seinem Volk den Hass auf Juden quasi als Staatsräson vorgibt. Als Antisemitismusforscherin habe ich die Diskussionen um das Jüdische Museum mit Sorge und allergrößter Irritation verfolgt. Das Jüdische Museum sollte auf die Gefahr des Antisemitismus hinweisen und ihn nicht negieren oder relativieren!
BESUCH Auch deshalb wollte ich mir ein eigenes Bild über die Jerusalem-Ausstellung machen, zumal sie nur noch rund vier Wochen zu sehen sein wird. Im Rahmen eines Seminars habe ich kurzerhand an der Führung »Jerusalem historisch« teilgenommen. Wir wollten einen jüdischen Ort in Berlin besuchen und uns über die Geschichte der Stadt informieren. Doch leider mussten wir die Führung vorzeitig abbrechen, weil sich ziemlich schnell herausgestellt hat, dass Inhalte unausgewogen dargestellt wurden.
In der »Jerusalem«-Schau entsteht der Eindruck, dass kein legitimer jüdischer Ort existiert.
Was hat uns so irritiert? Es waren verschiedene Momente. In einem Raum war der Felsendom zu sehen, eingewickelt in eine Kufiya mit einer Kalaschnikow; in einem anderen Bild wurde der Felsendom von einer schwarzen Zange mit einem Davidstern zerschmettert, und ein drittes zeigte einen Mann, der den Dom auf dem Rücken trug, und die Bildunterschrift sagte »Ewiger Moslem«.
Diese Bilder wurden als Plakate der »linken Bewegung PLO« aus den 70er- und 80er-Jahren vom Guide gezeigt, ihr antisemitischer Gehalt in keiner Bildunterschrift oder während der Führung benannt oder kommentiert. Auch fehlt überhaupt eine Definition des israelbezogenen Antisemitismus, sodass die Besucher nichts an die Hand bekommen, was eine Einordnung leichter machen könnte.
In jedem Museum wären diese Fehler fatal, im Jüdischen Museum Berlin ist es das erst recht. Wir sprechen hier wohlgemerkt von dem zweitmeist besuchten Museum in Berlin. Wenn Schüler diese Bilder sehen, übernehmen sie womöglich auch die hier angebotenen Narrative. Wenn dort ein jüdisches Kind mit Davidstern-Kette in der Schulgruppe ist, kann es schnell passieren, dass das Symbol mit einer vermeintlichen Zerstörung des Felsendoms oder der Unterdrückung von Palästinensern verknüpft und das Kind deswegen antisemitisch gemobbt wird. Das ist fatal in einer Zeit, in der immer weniger Juden sich trauen, jüdische Symbole offen zu tragen, obwohl sie es eigentlich möchten. Es besteht die Gefahr, dass sie zur Projektion der Politik Israels gemacht werden.
Wie erzählt das Museum die Geschichte Jerusalems? Äußerst einseitig!
Ein anderes Thema: Wie erzählt das Museum die Geschichte Jerusalems? Äußerst einseitig! Jerusalem als zentraler Bestandteil jüdischer Religion und Kultur sowie die seit Jahrtausenden tradierte, positiv besetzte Sehnsucht »Nächstes Jahr in Jerusalem« nimmt keinen zentralen Platz in der Ausstellung ein. Es entsteht der Eindruck, dass kein legitimer jüdischer Ort auf diesem Planeten existiert. Die Heimat der Juden wird in den schwammigen Begriff »portative Heimat« übersetzt und damit in der Diaspora verortet.
MUFTI Israel wird nicht als positiver Bezug der meisten Juden thematisiert, die hier einen einzigen Zufluchtsort vom globalen Antisemitismus finden konnten und können. Dafür haben wir beispielsweise ein vom Jüdischen Forum bereits kritisiertes Bild gesehen, auf dem jüdische Frauen in Leopardenpelzen kurz nach dem Krieg nach Israel migrierten, neben der Darstellung palästinensischer Kinder, die unter schrecklichsten Bedingungen leben. Die Asymmetrie der Bildsprache blendet das Leid, das die jüdischen Migranten während der Schoa erlebt haben, völlig aus.
Auch wird Täterschaft von palästinensischer Seite nicht thematisiert: Die Geschichte des Großmuftis von Jerusalem kommt gänzlich ohne Erwähnung seiner Kollaboration mit den Nationalsozialisten aus. Außerdem stellt eine aus Seifen gemachte Installation über die palästinensische Heimat eine absolut unangebrachte Parallele her zwischen jüdischen KZ-Insassen und den heutigen Bedingungen im Leben der Palästinenser.
Es gibt so unglaublich viel, was man über die jüdische Geschichte Jerusalems erzählen könnte.
Das Museum hat den Anspruch, Geschichte und Gegenwart des Landes und der Stadt aus unterschiedlichen Perspektiven darzustellen. Tatsächlich gelingt das aber nicht. Oder besser: Dieser Anspruch scheitert auf ganzer Linie. Die zahlreichen Attentate, die leider längst zu einem Teil der Realität in Jerusalem geworden sind, werden ausgeblendet. Die Gründe, warum es eine Mauer zwischen Israel und »Palästina« gibt, werden auch nicht benannt. Gleichzeitig wird der marginalen, antizionistischen und mit Terrororganisationen kooperierenden Neturei Karta sehr viel Platz eingeräumt, während die israelische gesellschaftliche Mitte völlig fehlt.
MITEINANDER Dabei gibt es so unglaublich viel, was man über die jüdische Geschichte Jerusalems erzählen könnte. Auch über die ganzen schönen Aspekte des Lebens in dieser Stadt, über die positiven Projekte, in denen Palästinenser und Juden erfolgreich miteinander, statt gegeneinander arbeiten.
Ich würde mir von jedem Museum in Deutschland wünschen, dass es keine Narrative bedient, mit denen Antisemitismus in Deutschland weiter befeuert wird – schon gar nicht von einem sogenannten Jüdischen Museum.
Die Autorin ist Professorin für Soziologie an der Frankfurt University of Applied Sciences.
(Mitarbeit: Tom Uhlig)