Keine Labels. Das ist das Erste, was auffällt beim Betreten der Ausstellung von Frédéric Brenner. Und auch sonst widersetzt sich der fotografische Essay, als den das Jüdische Museum Berlin (JMB) die Werke des international renommierten Künstlers präsentiert, dem gewohnten Blick des Betrachters.
Schon der Titel deutet eine Einladung zum Perspektivwechsel an, der sich jeglichen Schubladen entzieht. »ZERHEILT« fordert heraus, hinterfragt, öffnet Räume statt sie zu begrenzen. Seit heute ist die Ausstellung zu sehen, am Donnerstagabend wurde sie eröffnet.
DIASPORA Die Bilder stehen für sich. Es gibt keine Lesart, die sie mitliefern. Die Besucher sind aufgefordert, sich immer wieder neu mit ihnen auseinanderzusetzen und sich ihre eigenen Gedanken über sie zu machen. So ungewöhnlich dieser Zugang zunächst erscheinen mag, so nahtlos fügt er sich ein in die Akzente ein, die das JMB setzt, gerade mit seiner neuen Dauerausstellung.
»Eine Einladung zum Denken« seien Brenners Bilder, sagt Museumsdirektorin Hetty Berg. »Sie wollen keine Aussage treffen, sondern die Betrachter in einen gedanklichen Raum führen, in dem Vergangenheit und Gegenwart widerhallen.«
Frédéric Brenner hinterfragt stereotype Bilder und Vorstellungen, um neue Perspektiven zu eröffnen.
Seit mehr als 40 Jahren nimmt Frédéric Brenner jüdisches Leben in der Diaspora in den Blick. Es ist ein komplexer Blick, der der Komplexität und Vielstimmigkeit der Menschen und Orte gerecht wird, die er zeigen will. Eine Komplexität und Vielfalt jüdischer Gegenwart, der sich auch das Jüdische Museum verschrieben hat.
»ZERHEILT« entstand zwischen 2016 und 2019. Brenner betrachtet darin Berlin als Bühne verschiedener Inszenierungen des Jüdischseins und porträtiert Orte – ein leerer eingezäunter Fußballplatz, ein Walddickicht, Wohnräume – und Individuen: Neuankömmlinge, Alteingesessene, Konvertiten, Zuwanderer und andere, die sich in Berlin niedergelassen haben oder vorübergehend in der Stadt leben.
STATUS QUO Dabei hinterfragt der Künstler stereotype Bilder und Vorstellungen, um neue Perspektiven zu eröffnen – auf Menschen und Fragen, die sich um jüdisch-deutsche Geschichte drehen. »Brenner zielt mit seinem fotografischen Essay nicht auf eine erschöpfende Dokumentation des Status quo jüdischen Lebens heute in Deutschland ab«, betont Theresia Ziehe, Kuratorin für Fotografie am JMB. »Seine Bilder bieten vielmehr fragmentarische Einblicke in das Leben in Berlin voller Paradoxien, Dissonanzen, Leerstellen und widerstreitender Narrative zwischen Vergangenheitsbewältigung und dem Wunsch nach Erlösung.«
Geplant sei außerdem eine »Verlängerung der Ausstellung in andere Medien«, sagt die Kuratorin. So soll etwa eine Porträtserie auf der Webseite des Jüdischen Museums und in den sozialen Medien entstehen – als »Brücke, an die auch andere Zielgruppen anknüpfen können«, betont Theresia Ziehe.
Lesen Sie mehr zu der Ausstellung in der kommenden Printausgabe der Jüdischen Allgemeinen.
»ZERHEILT«, 3. September 2021 bis 13. März 2022, Jüdisches Museum Berlin, Lindenstraße 9–14. Der Eintritt ist frei, es sind Zeitfenster-Tickets erforderlich.
Weitere Informationen unter www.jmberlin.de/ausstellung-zerheilt