»Freier Eintritt für AfD-Mitglieder!« – es war eine Aktion, die kurz vor dem Internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar für viel Aufsehen sorgte. Ein Kino in Rheinland-Pfalz hatte an diesem Tag ausschließlich AfD-Mitgliedern freien Eintritt zur Vorstellung von Schindlers Liste angeboten.
Der Film diene der »offensichtlich notwendigen historischen Bildung« der rechtspopulistischen Partei, hieß es in der Mitteilung des Kinos. »Wir möchten damit beitragen, diese Lücke zu schließen.«
»FLIEGENSCHISS« Jetzt hat auch Berlinale-Direktor Dieter Kosslick der AfD ein Angebot gemacht: Er bietet übermorgen allen AfD-Mitgliedern freien Eintritt zur Vorstellung des Dokumentarfilms Das Geheimarchiv im Warschauer Ghetto an.
»Alle AfD-Mitglieder, alle Abgeordneten im Bundestag der AfD, werden kostenlos ins Kino dürfen. Von mir persönlich eingeladen. Ich bezahle jedes Ticket«, betonte Kosslick. Er hoffe, dass am Sonntag möglichst viele den Film sehen werden. »Und wenn sie dann noch sagen, das ist ein Fliegenschiss, dann muss ich sagen, sollte vielleicht jemand anderes einschreiten als die Filmemacher.«
»Alle AfD-Mitglieder werden kostenlos ins Kino dürfen. Ich bezahle jedes Ticket«, betonte Kosslick.
Das Geheimarchiv im Warschauer Ghetto setzt am 19. September 1946 ein: Eine Frau reist mit dem Zug durch eine Landschaft voller Wälder. »Die von den Toten wiederauferstandenen Schriften sind Augenzeugenberichte unserer Tragödie und unseres Widerstandes«, wird Rachel Auerbach (1903–1976) später sagen. Die Journalistin und Literaturkritikerin war Anfang 1930 nach Warschau gekommen, wo sie die Intensität und Vielfältigkeit des jüdischen Lebens sofort faszinierte.
FOTOS Dort erschienen damals allein sechs jüdische Zeitungen, und es gab rund 100 moderne jüdische Schulen. Auerbach war mit Itzik Manger (1901–1969) liiert, bis der in Rumänien aufgewachsene Dichter im April 1938 aus Polen ausgewiesen wurde. Sie blieb, und sie blieb fortan allein.
Der Pädagoge und Publizist Emanuel Ringelblum, der über die Geschichte der Warschauer Juden im Mittelalter promoviert hatte, organisierte in jener Zeit Hilfsaktionen wie Suppenküchen und Waisenhäuser für alle Flüchtlinge, die nach Warschau kamen. Auerbach unterstützte ihn bei seiner Arbeit, obgleich ihre Familie sie zur Abreise drängte.
Der Film lässt die damalige Zeit in nacherzählten filmischen Szenen wieder aufleben.
Sie und andere halfen Ringelblum dabei, Fotos und Filme zu sichern – ahnte er doch, dass Erinnerungen und Erzählungen von Menschen nicht nur geschönt werden können, sondern auch schnell zu verblassen drohen. Seine gesammelten einzigartigen Dokumente wurden in Metallkästen und Milchkannen versteckt: Plakate, Zeitungsberichte, Lebensmittelkarten, Tagebücher und Gedichte, auch Schriftstücke der Nazis.
DOKUMENTE Autorin und Regisseurin Roberta Grossmann lässt die damalige Zeit in nacherzählten filmischen Szenen wieder aufleben. Sie blendet dazu historische Fotos und Dokumente des Lebens und Sterbens ein, darunter auch Seiten aus dem Tagebuch von Ringelblum, der Ringelblum 1944 im Warschauer Ghetto erschossen wurde.
Zehn Blechkisten mit etwa 1700 Archivposten wurden im Herbst 1946 unter den Trümmern ausgegraben und werden heute im Jüdischen Historischen Institut in Warschau aufbewahrt. Die Sammlung wurde 1999 in das Weltdokumentenerbe der Unesco aufgenommen.
Zehn Blechkisten mit etwa 1700 Archivposten wurden im Herbst 1946 unter den Trümmern ausgegraben
Nicht zuletzt durch die Einordnungen von Historikern erfährt der Zuschauer bislang wenig bekannte Einzelheiten und Zusammenhänge aus der Zeit des Nazi‐Terrors, der für die jüdischen Menschen in Warschau und im abgeriegelten Ghetto dort wie eine »Welle des Bösen und ein unvermeidbares Schicksal« über sie hereinbrach – so heißt es im Film.
Die realistisch geschilderten Alltagsszenen aus dem Ghetto werden kaum einen Zuschauer unberührt lassen.