Lucy kann nicht mehr. Sie liegt in den Armen ihres Mannes, nachdem sie vor Schwäche auf der Treppe zusammengebrochen ist. Die vielen Chemotherapien haben Spuren hinterlassen. Die junge Frau hat Brustkrebs im fortgeschrittenen Stadium und sehnt sich nach einer Behandlung – wie einer, mit der Belle Gibson ihren Gehirntumor besiegt hat, oder wie der von Milla Blake, die einen seltenen bösartigen Weichgewebstumor hat.
Wie, fragt sich Lucy, haben die beiden es geschafft, ihre Erkrankung ohne aggressive Therapien in den Griff zu bekommen, wie sie es in ihren Lifestyle-Blogs beschreiben? Sollte das wirklich nur mithilfe von gesunden Rezepten, frisch gepressten Säften und Kaffee-Einläufen passiert sein? Lucy will das auch. Sie will ihr gesundes Leben zurück.
Um menschliche Abgründe, skrupellose Lügen und das perfide Geschäft mit verletzlichen Menschen dreht sich die Serie Apple Cider Vinegar beim Streamingdienst Netflix. Die sechsteilige sehenswerte Miniserie ist eine emotionale Achterbahn aus schnellen, optisch zeitgemäßen Instagram-Referenzen, Feelgood-Organic-Momenten, der Abgebrühtheit von Menschen, die schonungslos vorgeben, Krebs zu haben, und damit wirklich Erkrankte abzocken, und dem verzweifelten Kampf von Familien, die ihre Partner und erwachsenen Kinder nicht an einen Gesundheitskult verlieren wollen, der sie umbringt.
Die Australierin Belle Gibson täuschte der Öffentlichkeit Krebs im Endstadium vor
Apple Cider Vinegar basiert auf der wahren Geschichte der Australierin Belle Gibson, die der Öffentlichkeit vortäuschte, Krebs im Endstadium zu haben, die Verlage überzeugte, dass Rote-Bete-Burger gegen Tumore helfen, und deren App »The Whole Pantry« 2013 zur »Best Food and Drink App« bei Apple gekürt wurde. Sie sammelte Geld für krebskranke Kinder, gab das Geld aber nicht weiter und wurde wegen Betrugs verurteilt.
Die Serie, die an das Buch The Woman Who Fooled The World angelehnt ist, erzählt indirekt auch die Geschichte von Max Gerson, einem jüdischen Deutschen, der vor den Nazis in die USA floh und in New York eine stark kritisierte Safttherapie gegen Krankheiten wie Krebs entwickelte.
13 Gläser Saft am Tag trinkt auch Milla Blake, deren Geschichte teilweise auf der einer wahren Person basiert: Jessica Ainscough, einer Australierin, die wirklich Krebs hatte und einen Wellness-Blog betrieb. Ainscough starb 2015 an Krebs. Belle Gibson lebt.