Der Humor ist Woody Allen trotz des Gegenwinds nicht vergangen. Kaum fängt die 448-Seiten-Autobiografie Ganz nebenbei an, sprudeln die Pointen.
Über seine Eltern schreibt er gleich zu Beginn: »Die beiden passten zusammen wie Hannah Arendt und ein Gangsterboss. Sie waren uneins über alles außer Hitler und meine Schulzeugnisse. Aber trotz aller Wortgemetzel blieben sie 70 Jahre verheiratet – um den anderen zu ärgern, vermute ich.«
funken Kindheit und Jugend nehmen mehr Raum als nötig ein, doch die Charakterisierung der skurrilen Verwandtschaft, antisemitischer Lehrerinnen und der Fluchtmöglichkeiten ins Kino sind für Allen ohnehin nur Anlässe, um unterhaltsame Funken zu schlagen.
Die Marke Woody Allen rattert gut geölt.
Die Marke Woody Allen rattert gut geölt. Das Frauenbild ist zwar nicht mehr ganz taufrisch, die Parade der Begegnungen mit schillernden Stars will kein Ende nehmen. Und natürlich darf auch die Selbstanalyse nicht fehlen: »Leute, das hier ist die Autobiografie eines misanthropischen, ungebildeten Gangster-Fans; eines kulturlosen Eigenbrötlers, der vor dem Spiegel übt, unbemerkt ein Pik-Ass im Ärmel verschwinden zu lassen, um seine Freunde auszunehmen.«
Allen ein Intellektueller? Da kann er nur kokett widersprechen: »Ich habe keine Einsichten, keine hochfliegenden Gedanken, verstehe kaum ein Gedicht, das nicht mit ›Rosen sind rot, Veilchen sind blau‹ anfängt. Allerdings habe ich eine schwarze Hornbrille und behaupte: Diese Brille und mein Talent, mir Bildungsbröckchen anzueignen, die mir zwar zu hoch sind, die ich aber in meiner Arbeit unterbringen kann, um mich klüger wirken zu lassen, als ich bin, die halten dieses Märchen lebendig.«
Missbrauchsvorwurf Apropos Märchen: Was sagt Allen über den inzwischen fast 30 Jahre alten Missbrauchsvorwurf, zu dem er bisher kaum Stellung bezogen hat?
Es langweile ihn, was ihm leider nicht erspare, sich über den ihm unterstellten Übergriff auf seine damals siebenjährige Adoptivtochter äußern zu müssen. »Ich hatte immer gehofft, Dylan würde im Laufe der Jahre irgendwie begreifen, dass ihre Mutter sie benutzt hat, ihr Alter und ihre Verletzlichkeit schamlos ausgenutzt hat, um ihr den Vater zu entziehen, weil sie wusste, dass sie mich damit am meisten treffen konnte.«
Auf 50 weiteren, im Plauderton fortfahrenden Seiten gibt sich Allen mal amüsiert, mal entsetzt über die Rachekampagne, die sich seine Ex-Frau Mia Farrow ausgedacht haben soll. Viele seiner Argumente leuchten ein, bis auf die schlecht sortierte Schmutzwäsche, auf die man hätte verzichten können.
Zweifel Dennoch ist es erfreulich, dass man seine Sicht der Dinge nach dem langen Ringen um die Veröffentlichung lesen kann. Das ändert aber nichts daran, dass letzte Zweifel bleiben.
Am meisten scheint Allen der illoyale Meinungswandel in seinem beruflichen Umfeld zu kränken: »Ich muss schon sagen, dass ich gestaunt habe, wie viele aus meiner Branche einfach umgekippt sind wie Dominosteine. Vielleicht aus persönlicher Überzeugung oder Angst, oder vielleicht auch aus dem Gefühl heraus, hier eine Gelegenheit nutzen zu können, sich in einer politisch korrekten Angelegenheit mit einem risikofreien Standpunkt in der Öffentlichkeit zu sonnen.«
Wenn sich Allen zum Schluss resigniert gibt, dann nur, um das Lachen triumphieren zu lassen.
Und wenn sich Allen zum Schluss resigniert gibt, dann nur, um das Lachen triumphieren zu lassen: »Interesse an einem Vermächtnis hatte ich ohnehin nie. Ich bin 84, mein Leben ist halb vorbei. Was steht in meinem Alter noch auf dem Spiel? Da ich nicht an ein Jenseits glaube, macht es für mich im Grunde keinen Unterschied, ob man mich als Regisseur, Pädophilen oder gar nicht in Erinnerung behält. Ich bitte um nichts weiter, als dass man meine Asche in der Nähe einer Apotheke verstreut.«
Innenleben Bevor es so weit ist, arbeitet Allen einfach weiter und schaut aus dem Fenster. »Sonnenschein deprimiert mich. Und die Stadt ist so wunderschön im Regen, unter wolkenverhangenem Himmel. Keine Ahnung, warum. Einige behaupten, das stünde in objektiver Korrelation zu meinem Innenleben. Ich habe eine wolkenverhangene Seele.«
Dazu hat er in der von der Corona-Krise zunehmend apokalyptisch gebeutelten Stadt New York mehr Grund denn je.
Woody Allen: »Ganz nebenbei«. Rowohlt, Hamburg 2020, 448 S., 25 €