Herr Kuehn, Sie präsentieren auf der Chicago Architecture Biennial, einer der wichtigsten Architektur-Ausstellungen der Welt, ein Modell des »House of One«. Nur zwei Aussteller kommen aus Deutschland, einer davon ist Ihr Büro. Was hat die Chicagoer Jury überzeugt?
Sarah Herda und Joseph Grima, die Kuratoren der Ausstellung, kennen unsere Arbeit seit einigen Jahren. Wir entwerfen und realisieren viele Projekte für Kunst und Kultur und nehmen an internationalen Architekturwettbewerben teil. Vor allem arbeiten wir sehr inhaltlich, und in unserem Projekt für das »House of One« in Berlin steht auch der Inhalt im Vordergrund: das Zusammenleben der drei Buchreligionen unter einem Dach. Wir haben uns daher bewusst entschieden, dieses wichtige Projekt im Kontext der Biennale zu zeigen.
Wie spiegeln sich das Verbindende, aber auch die Besonderheiten der drei Religionen in dem Bau wider?
Das Gebäude verkörpert sehr direkt die Themen, die das »House of One« ausmachen: die Spannung von Nähe und Distanz, von Gemeinsamkeiten und jeweiliger Autonomie der drei Religionen. Im urbanen Kontext der Gertraudenstraße im Zentrum Berlins erscheint ein Backsteinbau, der sich von seiner direkten Umgebung deutlich abhebt. Das äußere Merkmal des House of One ist die Ruhe des Baukörpers mit seinen großen, geschlossenen Ziegelflächen. Nach außen strahlt das Gebäude also symbolfrei das Verbindende aus.
Und im Inneren?
Die Gestaltung im Inneren steht im spannungsvollen Gegensatz dazu, indem sich die einzelnen Räume von der Geschlossenheit des Baukörpers lösen: Juden, Christen und Muslime erhalten je einen eigenen sakralen Raum. Hier steht die Autonomie der drei Religionen mit ihren jeweils eigenen liturgischen Handlungen und Regeln im Vordergrund. Synagoge, Kirche und Moschee gruppieren sich um das gemeinsame Lehrhaus im Zentrum, das wie ein Platz Zwischenraum und Hauptraum zugleich ist.
In einem räumlichen Sinn versetzt unser Entwurf für das »House of One« die drei einander ebenso verwandten wie fremden monotheistischen Religionen in die Lage, sich miteinander zu verbinden wie auseinanderzusetzen und zugleich die säkulare Stadtgesellschaft Berlins anzusprechen.
Ihr Modell für die Biennale zeigt den Innenraum des »House of One« als Volumen, außerdem sind Fotos und ein Video zu sehen. Wie reagieren die Leute in Chicago auf diese Installation?
Die Besucher sind zunächst überrascht: Ein Architekturmodell aus Styropor mit eine Höhe von bis zu vier Metern ist ungewöhnlich. Man muss sich körperlich dazu in Beziehung setzen. Zugleich nimmt das Modell Kontakt auf zur Stadt, den Hochhäusern, die das Chicago Cultural Center umgeben. Im Zusammenhang mit den Fotos von Armin Linke, die liturgische Gesten eines Rabbiners, eines Pfarrers und eines Imams zeigen und dem Video von Marko Lulić, das mit den Mitteln des Tanzes die Möglichkeiten der Begegnung innerhalb des zentralen vierten Raumes auslotet, erschließt sich die ganze Arbeit. Die Menschen nehmen sich die Zeit dafür.
In Berlin steht die Idee des Projekts noch am Anfang, die Finanzierung ebenfalls. Doch die Architektur gilt schon jetzt als visionär. Warum?
Ist nicht schon die Idee visionär? Sie hat eine völlig neue Bauaufgabe geschaffen. Ein Gebäude entwerfen zu können, für das es keine Vorbilder gibt, ist in unserem Beruf ein sehr unwahrscheinliches Ereignis. Und was die Finanzierung angeht, sind wir alle sehr zuversichtlich: Der anfangs relativ kleine Verein wird gerade in eine Stiftung überführt; es finden zahlreiche Gespräche mit potenziellen Partnern statt, die sich finanziell engagieren; das Interesse, das das Projekt auch international erfährt, ist überwältigend.
Wie tiefgehend haben Sie sich inhaltlich mit den drei monotheistischen Weltreligionen beschäftigt, um das Konzept zu gestalten?
Wir haben mit Vertretern aller drei Religionen gesprochen, zur Liturgie recherchiert, die unterschiedlichen Gottesdienste besucht und bauliche Typologien von Synagogen, Kirchen und Moscheen studiert. Es ist ein kontinuierlicher Prozess der Auseinandersetzung, der auf vielen Ebenen stattfindet: im Gespräch mit Geistlichen, Künstlern, Philosophen und Anthropologen, aber auch durch die Lektüre der Texte dieser drei Religionen.
Jede der drei Religionen hat ihre Besonderheiten. Wie schaffen Sie es, alle Wünsche unter ein Dach zu bringen?
Im Besonderen äußert sich ja das Universelle und findet einen spezifischen Ausdruck. Unsere intensiven Gespräche mit den Vertretern der drei Religionen standen und stehen im Zeichen dieser universellen Idee; wir planen daher immer alles gemeinsam, jede Besonderheit einer Religion erörtern und entwickeln wir zusammen mit allen.
Was waren bislang Ihre größten Herausforderungen bei dem Projekt?
In diesem Projekt gibt es – wie in allen Projekten – neue, fordernde praktische Fragen. Der besondere Reiz hier ist jedoch das Verstehen der drei Religionen. Der gesamte Prozess des Projekts seit Beginn des Wettbewerbs ist ein Lernprozess. In einem gewissen Sinn existiert das »House of One« dadurch bereits.
Welche Erkenntnisse haben Sie während der Gestaltung des Negativmodells für die Biennale gewonnen, die Sie am meisten überrascht haben?
Ein Modell der Räume und nicht des Bauvolumens, also ein Massenmodell der Innenräume zu bauen, war auch eine für uns neue Form. Der Modellbau ist hier nicht nur eine Veranschaulichung, sondern eröffnet neue Perspektiven und Erkenntnisse für die weitere Arbeit am Projekt.
Welche Rolle spielt die Stadt Berlin bei Ihrem Entwurf?
Es gibt hier ein spürbares Bedürfnis nach einem Dialog zwischen den Religionen, das mit der Geschichte und Gegenwart Berlins zu tun hat. Zugleich aber ist Berlin auch sehr reich an Nicht-Gläubigen, die im »House of One« in eine Beziehung zum Glauben der drei Abrahamitischen Religionen treten können.
Mit dem Architekten des Architekturbüros Kuehn Malvezzi sprach Katharina Schmidt-Hirschfelder.
www.house-of-one.org