Herr Elias, haben Sie in der vergangenen Woche Fußball geschaut?
Ja selbstverständlich! Ich bin ein großer Fan! Und freue mich, wenn die Deutschen gewinnen. Schon allein, weil es gegen die Rechtsradikalen geht. Denn was würden die Deutschen auf dem Platz ohne ihre Secondos (Einwandererkinder, Anm. der Red.) wie Gomez machen? Zumindest keine Tore schießen!
Da wir gerade beim Thema Patriotismus sind: Sind Sie eigentlich Schweizer Staatsbürger?
Ich lebe seit meinem sechsten Lebensjahr in Basel und wurde 1947 eingebürgert. Meinem Vater wurde der Schweizer Pass auch erst nach dem Krieg gewährt, obwohl er sich schon jahrelang darum bemüht hatte. Es hieß immer, er sei noch nicht ausreichend integriert. Aber der Grund war, dass er Jude war.
Sie kommen selbst nur gelegentlich in Ihre Geburtsstadt, sorgen aber dafür, dass viele Besitztümer und Briefe der Familie Frank nach Frankfurt zurückkehren – in das neu entstehende »Familie Frank Zentrum«. Warum bleibt nicht alles in Basel?
In Basel hat niemand danach gefragt. Nein, im Ernst. Es ist für mich eine Rückkehr zu den Wurzeln, ein Nachhausekommen. Mit den Jahren habe ich wieder eine Beziehung zu Frankfurt aufgebaut. Nach dem Krieg war ich 1952 zum ersten Mal wieder in der Stadt – auf Tournee. Wir hatten ein Gastspiel mit »Holiday on Ice«. Um Frankfurt selbst habe ich mich da allerdings wenig gekümmert, weil ich Elvis Presley getroffen habe. Das hat mich viel mehr beeindruckt.
Vom Eiskunstlaufen mit Ihnen träumt auch Anne Frank in ihrem Tagebuch, in das sie vor genau 70 Jahren zum ersten Mal geschrieben hat. Welche Bedeutung hat das Buch heute?
Eine enorme! Ich war gerade mit meiner Frau Gerti auf Lesereise in den USA. Da hatte ich zwei besondere Erlebnisse. Zum einen ein Afroamerikaner, der mich beim Büchersignieren mit ganz viel Liebe im Blick angeschaut hat. Ich habe meine Hände auf seine gelegt, und wir haben uns etwa zehn Sekunden einfach nur in die Augen geblickt. Dann hat er sein Buch genommen und »Thank you!« gehaucht. Das ist mir durch und durch gegangen. Und dann war da ein 14-Jähriger, der meinte, er könne Kontakt zu Anne Frank aufnehmen. Wir haben den Kopf geschüttelt, aber dennoch sein Buch, das er mir auf einem Stick gegeben hat, gelesen. Und, was soll ich sagen? Der Text ist großartig und liegt jetzt bei meiner Literaturagentin.
Ihre Frau begleitet Sie stets. Welche Rolle spielt sie in Ihrer Familiengeschichte?
Als ich meine Frau kennenlernte, war sie Schauspielerin am Landestheater in Tübingen. Ich habe sie über den Hof laufen sehen – und war hin und weg. Meine Frau ist für mich überhaupt das allergrößte Wunder. Sie kommt aus einem winzigen Dörfchen in der Steiermark. Es ist mir heute noch ein Rätsel, wie sie sich bis ins kleinste Detail in unsere Familienhistorie eingearbeitet hat. Und ihr ist auch das neue Buch darüber, Grüße und Küsse an alle, zu verdanken. Denn sie hat nicht nur die rund 6.000 Briefe gefunden, sondern auch zweieinhalb Jahre lang gelesen, sortiert und geplant, wie man sie publizieren könnte.
Bedauern Sie manchmal, dass Ihr Leben immer wieder rückwärtsgewandt ist?
Nein, denn ich bewahre ja auch viele lustige Erinnerungen auf, die ans Theater beispielsweise. So wie der Moment, als ich den Mephisto gab und plötzlich mit dem Text hing. Für die Souffleuse war das so ungewohnt, dass sie wie wild blättern musste, bis sie meine Stelle fand und mir helfen konnte. Darüber lachen wir noch heute! Oder die Szene auf der gen Souffeurkasten schräg abfallenden Bühne: Ich habe im Braven Soldat Schwejk mein Bierglas umgeworfen, die Brühe lief unaufhaltsam und tropfte der armen Souffleuse auf die Hose. Und die konnte nichts machen, als ruhig sitzen zu bleiben …
Wäre es Ihnen lieber, wenn Sie stärker als Schauspieler und Eiskunstläufer wahrgenommen würden denn als der letzte lebende Angehörige von Anne Frank?
Nein, denn die Arbeit für den Anne-Frank-Fonds macht nur etwa 50 Prozent meines Alltags aus. Ein netter Kollege vom Fonds begleitet mich regelmäßig zu den Fußball-Spielen des SV Basel, meine Frau und ich werden in diesem Jahr einmal wieder »richtig« Urlaub machen, und am 9. November feiere ich mit einer britischen Komödie in Basel Premiere. Aber die Arbeit für Anne Frank war und ist meine Hauptaufgabe.
Mit dem Präsidenten des Anne-Frank-Fonds in Basel sprach Rivka Kibel.