Bereits zum 76. Mal finden die Internationalen Filmfestspiele von Cannes in diesem Jahr statt. Und sosehr in vielerlei Hinsicht (wie etwa weiten Teilen der Programmauswahl) business as usual angesagt ist, so gibt es doch zumindest eine große Neuerung. Denn erstmals in der Geschichte des Festivals steht mit Iris Knobloch eine Frau als Präsidentin an der Spitze.
Knobloch, 1963 als Tochter von Samuel und Charlotte Knobloch – der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern – in der bayrischen Landeshauptstadt geboren, ist in der Filmbranche alles andere als eine Unbekannte.
KARRIERE Bereits 1996 heuerte die studierte Juristin, die in Deutschland, Kalifornien und New York als Anwältin zugelassen ist, bei Warner Bros. an, einem der großen, alteingesessenen und weltweit agierenden Hollywood-Studios.
Sie erwies sich, in wechselnden hohen Positionen, als treue Konzern-Angestellte: 25 Jahre lang leitete sie zum Beispiel als CEO das Frankreich-Geschäft, zuletzt war sie bis 2021 von ihrer Wahlheimat Paris auch für Benelux und den deutschsprachigen Raum zuständig.
Sie ist die erste Frau und die erste Nicht-Französin im Ehrenamt der Festival-Präsidentin.
Dass Knoblochs Führungsrolle in Cannes in Frankreich nicht nur für Begeisterung sorgt, hat nun nichts damit zu tun, dass sie eine Frau ist. Auch die Tatsache, dass sie die erste nicht-französische Person im Ehrenamt der Festival-Präsidentin ist, ist nur bedingt Stein des Anstoßes, obgleich mindestens der Vorsitzende des französischen Autorenverbandes seine Kritik an ihr daran festmachte.
Hauptgrund dafür, dass die Deutsche im Frühjahr 2022 im Verwaltungsrat die Wahl nicht einstimmig für sich entscheiden konnte (auch das ein Novum in der Festivalgeschichte), war vielmehr ihre Wirtschaftsnähe.
Dass Knobloch, die als Wunschkandidatin des französischen Präsidenten Emmanuel Macron ins Rennen ging, 2021 die Mantelgesellschaft I2PO gründete, wird von manchen in der Filmbranche kritisch beäugt.
STREAMINGDIENST An dem sogenannten Akquisitionszweckunternehmen, das beispielsweise den Musik-Streamingdienst Deezer übernahm und (letztlich verlustreich) an die Börse brachte, ist unter anderem auch der Milliardär François-Henri Pinault beteiligt, dessen Firma Kering wiederum zu den Hauptsponsoren in Cannes gehört.
Und nicht nur das: Gerade an der Croisette, wo traditionell das französische Kino gefeiert wird, aber auch dessen Produzenten, Verleiher und Kinobetreiber hinter den Kulissen großen Einfluss ausüben, sieht man sie in erster Linie als Vertreterin des Hollywood-Mainstreams.
Dass sie sich aus allen Pinault betreffenden Sponsoring-Entscheidungen heraushalten werde, hat die neue Präsidentin bereits beteuert, und auch sonst könnte sich ihre Wahl für Cannes womöglich aller Kritik zum Trotz noch als Glücksgriff erweisen.
Für den Erfolg des Festivals ist schließlich nicht zuletzt der Spagat zwischen publikumswirksamem Glamour und experimentellem Weltkino, also zwischen Kommerz und Kunst von entscheidender Bedeutung – und der ist ihr bei Warner, wo sie The Artist zum ersten französischen Oscar-Gewinner in der Kategorie Bester Film machte und mit Regisseuren wie Clint Eastwood, Woody Allen oder Steven Soderbergh zusammenarbeitete, durchaus immer wieder gelungen.
HERAUSFORDERUNGEN In der Festivalarbeit, wo sie unter anderem mit den Geldgebern und den öffentlichen Behörden zu tun hat, steht sie in jedem Fall vor großen Herausforderungen. Was die harmonische Arbeitsteilung mit Thierry Frémaux angeht, dem als egozentrisch und stur bekannten künstlerischen Leiter in Cannes, zeigte sie sich in ihrer ersten kurzen Rede bei der Programm-Pressekonferenz im April optimistisch: »Thierry und ich haben die gleiche Vision für das Festival: ein Festival, das dem Kino und seinen Machern die Treue schwört und sich trotzdem gleichzeitig der Zukunft zuwendet.«
In Cannes sieht man Knobloch in erster Linie als Vertreterin des Hollywood-Mainstreams.
Doch es gilt eben auch, Relevanz und Ruf des bekanntesten Filmfestivals der Welt aufrechtzuerhalten in Zeiten, in denen nicht zuletzt Oscar-Anwärter oft lieber Monate später in Venedig Premiere feiern und Streamingdienste wie Netflix die Notwendigkeit von exklusiven Film-Auswertungen auf der Leinwand infrage stellen.
»Als überzeugte Europäerin habe ich mich im Laufe meiner Karriere immer für das Kino eingesetzt, sowohl in Frankreich als auch auf internationaler Ebene, und ich freue mich, dass ich mein Bestes geben kann, damit dieses Weltereignis einflussreich bleibt.« So zitierte vergangenes Jahr die »taz« die gemeinhin öffentlichkeitsscheue Knobloch anlässlich ihrer Wahl zur Präsidentin, bei der sie frei nach Truffaut das Kino als »perfekte Mischung aus Spektakel und Wahrheit« beschrieb.
Sie anlässlich ihres ersten Festivals noch einmal selbst danach zu befragen, erwies sich als vorerst nicht möglich: Angesichts eines allzu vollen Kalenders beschied sie eine Interviewanfrage abschlägig. Doch es dürfte sicherlich weitere Gesprächsmöglichkeiten geben: Schließlich ist die 60-Jährige für zunächst drei Jahre gewählt.