Frau Kranz, Sie haben in Ihrer Studie untersucht, warum Israelis nach Deutschland kommen. Was haben Sie festgestellt?
Primär kommen Israelis aus wirtschaftlichen Gründen oder der Bildung wegen. Das ist deshalb interessant, da es sich um eine hochgebildete Gruppe handelt. Man sucht hier nach neuen Möglichkeiten, die wiederum bei uns auch besser zu finden sind, weil Deutschland ein größeres Land mit einem viel besseren Markt als Israel ist. Es gibt also einen sehr rationalen Grund. Man findet aber auch Israelis, die sehr jung sind, die andere politische Ansichten als die Mehrheit ihres Landes haben und die aus Identitätsgründen nach Deutschland kommen. Und es gibt noch einen weiteren Punkt in der Studie, den man allerdings sehr vorsichtig und nuanciert diskutieren müsste: Über 40 Prozent derjenigen, die nach Deutschland kommen, sagen, dass sie die Religion in Israel als übergriffig empfinden. Es sind also auch innerisraelische Dynamiken, die bei der Auswanderung eine Rolle spielen.
Weshalb ist gerade Deutschland so attraktiv?
Die eigene aschkenasische Herkunft ist den Auswanderern wichtig, was durch Identitätspraxen deutlich wird. Die Rolle der deutschen Kultur wird sehr betont, und Deutschland wird in Israel sehr positiv wahrgenommen - positiver als umgekehrt Israel in Deutschland. Allerdings gibt es auch naive Vorstellungen von Deutschland, denn viele denken, das Leben sei leichter. Israelis, die bereits hier wohnen, berichten in den sozialen Medien über ihre Erfolge und über ihre Art zu leben. Außerdem gibt es überproportional viele Austauschprogramme zwischen Deutschland und Israel. Sie hatten allerdings nicht das Bestreben, dass Israelis nach Deutschland auswandern und deutsche Nichtjuden nach Israel gehen. Aber: Menschen lernen nicht nur die Länder kennen, sondern auch ihre Partner.
Wie viele Israelis gibt es in Deutschland?
Zum Stichtag 31. Dezember 2015 lebten 12.835 israelische Staatsbürger in Deutschland. Im Mikrozensus wurde eine Sondererhebung in allen Bundesländern gemacht, und dabei kam man auf ungefähr 16.000 Menschen, die im weitesten Sinne - mit doppelter Staatsbürgerschaft, einem oder zwei israelischen Elternteilen, in Israel geboren - Israelis sind. Insgesamt kommt man auf ungefähr 20.000 im Bundesgebiet, wenn man noch die hinzuzieht, die rein formalstatistisch nicht greifbar sind.
Stimmt denn das Klischee von den israelischen Auswanderern, die als Künstler in Berlin leben?
Berlin ist eine Stadt, in der Menschen vorübergehend bleiben, und die Israelis, die dorthin gehen, ähneln vom Profil her eher Amerikanern, Briten und Franzosen. Diejenigen, die wirklich erfolgreich sind, das sind die, die in Berufsfeldern arbeiten, die vielleicht nicht so öffentlichkeitswirksam sind wie Kunst im Allgemeinen. Das sind nämlich Berater, Ingenieure, Ärzte und hochkarätige Wissenschaftler.
Ihre Mitarbeiterin, die Fotografin Katja Harbi, hat zudem Auswanderer-Familien fotografiert und sie haben Fotos als Teil der Forschung integriert. Wem sind Sie dabei begegnet?
Wir waren bei Familien, bei denen beide Elternteile Israelis sind und Kinder haben. Wir trafen deutsch-israelische Paare oder Lebensgemeinschaften, bei denen ein Israeli mit einem anderen ausländischen Partner oder einer Partnerin lebt. Es ist eine komplett bunte Mischung.
Wie hat sich das Deutschlandbild von Israelis, die hier schon länger leben, verändert?
Es kommt sehr auf die Lebensumstände an, ob bei einem Paar beide Israelis sind oder nur einer. Waren beide Partner Israelis, waren sie in der Schule oder im Kindergarten mit der Mehrheitsgesellschaft konfrontiert, die man vorher so nicht kannte. Insbesondere der Geschichtsunterricht wurde als problematisch empfunden. In einer staatlichen Schule in Deutschland lernt man den deutschen Mehrheitsdiskurs. Ein anderer Punkt ist der Versuch, das Hebräische zu tradieren. Und letztendlich ist es auch eine Schicksalsgemeinschaft, was dann aber wiederum typisch ist für Migranten im Allgemeinen.
Haben Sie Tipps für israelische Auswanderer, die vorhaben, nach Deutschland zu kommen?
Sie sollten sich ernsthaft informieren, sollten sich die Fakten ansehen und sich nicht von Facebook-Posts oder vom Hörensagen leiten lassen. Auf jeden Fall müssen sie Deutsch lernen.
Mit der Anthropologin sprach Katrin Richter.
Dr. Dani Kranz ist Senior Researcher und Leiterin des Forschungsprojekts »Israelische Migration nach Deutschland seit 1990« an der Bergischen Universität Wuppertal.