Kino

Eine Israelin, eine Iranerin und ein Judo-Kampf

Die iranische Judoka Leila (Arienne Mandi, rechts) mit ihrer Trainerin Maryam (Zar Amir Ebrahimi) Foto: ©Judo Production LLC / Juda Khatia Psuturi

Aus dem anonymen Zuschauerraum blecken die Kamerablitze. Alle Augen sind auf den Judo-Kampf auf den Tatami-Matten gerichtet, auf diese kraftbetonte und zugleich taktisch-filigrane Choreografie, die dort vollzogen wird: Körperschach mit Innen- und Außensicheln, mit Würfen und Würgegriffen.

Viel über die Sportart erzählen der israelische Regisseur Guy Nattiv, dessen Biopic Golda über die ehemalige Ministerpräsidentin Golda Meir kürzlich im Kino lief, und die iranische Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi in ihrem kammerspielartigen Thriller Tatami. Die Tatami-Matten werden zur Bühne, auf der im Nahkampf mit kinematografischer Zuspitzung Körper- und Weltpolitik verhandelt werden.

Statement in der Zeit der Polykrisen

Tatami, der Spielfilm mit iranisch-israelischer Ko-Regie, ist ein Statement in unserer Zeit der Polykrisen. Das Drehbuch schrieb Nattiv gemeinsam mit der in Paris lebenden iranischen Schauspielerin Elham Erfani.

Wir sind im Sportpalast in der georgischen Hauptstadt Tiflis und folgen der Iranerin Leila Hosseini (Arienne Mandi) bei der Judo-Weltmeisterschaft. Die Judoka ist in Topform und avanciert zur Favoritin. Trainiert wird sie von der ehemals erfolgreichen Judoka Maryam, die im Film von Ebrahimi selbst gespielt wird.

Vielen ist die Schauspielerin sicher aus ihrer Rolle in Ali Abbasis Cannes-Beitrag Holy Spider bekannt. Als die Chancen steigen, dass Leila im Turnier gegen die israelische Kontrahentin Shani Lavi (Lir Katz) antreten und verlieren könnte, schaltet sich der iranische Verband ein und verlangt von der Trainerin, ihre Topkämpferin mit vorgetäuschter Verletzung aus dem Turnier zu nehmen. »Wir repräsentieren den Iran. Wir müssen uns an die Regeln halten«, erklärt Maryam ihrem Schützling.

Als die Chancen steigen, dass Leila gegen die israelische Kontrahentin antreten und verlieren könnte, schaltet sich der iranische Verband ein.

Inspirieren ließ sich das Regie-Duo von iranischen Sportlerinnen und den Ereignissen um den Judoka Saeid Mollaei. Er wurde, wie iranische Sportler seit Jahrzehnten, aufgefordert, den Kampf gegen einen israelischen Kontrahenten zu boykottieren. Mollaei kämpfte jedoch weiter und ging ins Exil.

Auch Leila lässt sich in Tatami nicht einschüchtern. Während die Eltern vom Verband als Druckmittel missbraucht werden, beißt sie sich gegen den Willen ihrer Trainerin und gegen die Drohanrufe durch das Turnier und gewinnt Kampf um Kampf. Unterstützung findet sie in ihrem Mann Nader (Ash Goldeh), der daheim mit dem Sohn und Freunden das Turnier schaut. Und durch den Weltjudoverband, dessen Inspektorin ein Auge auf die Ereignisse um Leila wirft.

Todd Martins Kamera fängt das Treiben in kontrastreichem Schwarzweiß ein. Bei den Kämpfen klebt sie an den Körpern, die sich taktierend über die Matten schieben, dass man sich in Martin Scorseses Boxfilmklassiker Wie ein wilder Stier wähnt. Zwischendurch blickt sie aus der Vogelperspektive auf die Kämpfe oder schleicht durch die verwinkelten Katakomben des Sportpalasts und den Trainingsraum mit seinen bedrohlich diffus strahlenden Deckenleuchten. Die Enge des 4:3-Bildformats verstärkt die Konzentration des sich zum Politthriller hochschraubenden Films.

Leilas Haare spielen eine entscheidende emanzipatorische Rolle

Tatami verbindet Sportfilm mit Gegenwartsanalyse und macht auch den weiblichen Körper zum Politikum. In einem großartigen Moment spielen Leilas Haare eine zentrale emanzipatorische Rolle – ein Wink gegen das iranische Regime, das den Körper der Frauen als theokratisches Kriegsgebiet betrachtet.

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Die schrecklichen Ereignisse um die 22-jährige kurdischstämmige Iranerin Jina Mahsa Amini, die im September 2022 nach einer Festnahme in Teheran (angeblich wegen »unislamischer Kleidung«) und einem darauffolgenden Kollaps in einer Polizeiwache im Krankenhaus starb, haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt.

Auch wenn der Film am Ende kurz in einen erklärenden Duktus verfällt, den es nach den atemraubenden 100 Minuten in dieser Form nicht gebraucht hätte: Tatami bringt im Genre-Gewand gesellschaftspolitische Realität auf den Punkt und erzählt packend davon, wie wichtig der Kampf gegen Unterdrückungsstrukturen ist und wie kostbar und teuer die individuelle Freiheit.

»Tatami« läuft ab dem 1. August im Kino.

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