Sie war beteiligt an der entscheidenden Niederlage der Wehrmacht 1942 in Nordafrika, in den Diensten des britischen Geheimdienstes spionierte sie die nazistische Szene Argentiniens aus. Sie war es, die Adolf Eichmann enttarnte und die »Operation Garibaldi« zu seiner Entführung ermöglichte. Der Journalist Pablo Salomon nennt sie einen »unglaublichen Charakter«, und für den Historiker Ulises Santa Maria ist sie »einer der größten Mythen der argentinisch-jüdischen Geschichte«: Laila Salama.
Kaum zu glauben, aber außerhalb eines kleinen Expertenkreises kennt kaum jemand die bedeutende Agentin des britischen Geheimdienstes M16. Auch der Regisseur Gabriel Lichtmann stieß nur durch Zufall auf diese mysteriöse Frau, die in den 30er-Jahren in der jüdischen Gemeinschaft von Buenos Aires aufgewachsen war.
TANGO-Platte In den Hinterlassenschaften seines Großvaters hatte Lichtmann einen Karton gefunden. Darin: einige alte Fotografien, eine Zeitungsmeldung, eine deutsche Ausgabe des Werthers, das Storyboard eines nie vollendeten Spionage-Films und die Tango-Platte La Estrella Roja – der rote Stern. Mithilfe dieser Puzzleteile und dem genial-überforderten Charme eines Rowan Atkinson beschließt Lichtmann, Salamas Biografie zu rekonstruieren.
Mit seiner Mockumentary über eine vorgeblich legendäre jüdische Persönlichkeit tritt Lichtmann in große Fußstapfen.
Die so entstandenen knapp 70 Filmminuten von The Red Star enthalten alle Elemente einer Dokumentation à la mode: eine Reihe an »talking heads« – also viel redenden Experten und Zeitzeugen in Nahaufnahme –, die Verwendung von Archiv-Aufnahmen und erläuterndem Voice-Over sowie einen Regisseur, der mit seinem Kamerateam im Cinéma-vérité-Stil als Teil des Geschehens sichtbar gemacht wird. Ein Detail entspricht allerdings nicht dokumentarischen Gepflogenheiten: den Gegenstand der Doku – Laila Salaman, die jüdische Mata Hari – hat es in Wirklichkeit nie gegeben.
Mit seiner Mockumentary über eine vorgeblich legendäre jüdische Persönlichkeit tritt Lichtmann in große Fußstapfen. Sein Film ist gleichermaßen Hommage und Replik auf Woody Allens Film Zelig, dessen gleichnamige Hauptfigur unter einer Kondition leidet, die ihn in Gegenwart anderer Menschen auf mysteriöse Weise in Aussehen und Denken chamäleonartig an diese angleichen lässt. Während in The Red Star dem Woody Allen-Klassiker mit einigen Stilanleihen und Querverweisen Reverenz erwiesen wird, ist seine Protagonistin Salaman jedoch an entscheidender Stelle ganz anders als Zelig.
Mission Beide »leben« in derselben historischen Epoche und bekommen am eigenen Leibe zu spüren, was Judenhass bedeutet – die eine in Buenos Aires, der andere in New York. Beide reagieren auf diese Erfahrung damit, ein Phantom zu werden. Doch während Zelig seine eigene Persönlichkeit aufgibt, um sich um jeden Preis zu assimilieren und von allen gemocht zu werden, treten Salamas Identitätswechsel als Geheimagentin in den Dienst einer Mission: der Sieg über den Nationalsozialismus und die Bestrafung seiner Schergen.
Kommt Salama nicht vielleicht eine stellvertretende Existenz zu?
Das macht Salama zur weiblichen und zeitgemäßen Antwort auf Zelig. Denn nicht nur entspricht eine mutige Frau als Hauptfigur dem Zeitgeist, sondern auch die Aufwertung des jüdischen Widerstandes gegen all diejenigen, die sich die Vernichtung des Judentums geschworen haben. Gerade widmet sich die Ausstellung Rache im Jüdischen Museum in Frankfurt diesem Thema, unlängst erschien das Sachbuch Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen von Achim Doerfer über jüdische Vergeltungsaktionen nach der Schoa. Nicht allzu lange ist es zudem her, dass der Baseball-schwingende »Bärenjude« in Quentin Tarantinos Inglourious Basterds beim jüdischen Publikum für Beifallsstürme sorgte.
The Red Star bewegt sich ähnlich wie Tarantinos Film im Bereich des Genres »Alternate History«, handelt aber im Gegensatz zu diesem von weitgehend echten historischen Ereignissen. Erwin Rommels Armee wurde tatsächlich besiegt und Eichmann von jüdischen Agenten enttarnt und entführt. Die Frage nach der Realität von Laila Salama lässt sich daher auch nicht endgültig beantworten. Kommt ihr nicht vielleicht eine stellvertretende Existenz zu? Oder, wie es einer der »Experten« in dem Film ausdrückt: »Was, wenn ihr Leben die Kompilation der Leben vieler Frauen ist?«
»The Red Star« ist am 15., 18. und 19. Juni beim Jüdischen Filmfestival Berlin Brandenburg zu sehen. Mehr Infos finden Sie hier.