Finale

Eine andere Welt

Solidaritätsdemo am vergangenen Sonntag am Brandenburger Tor in Berlin Foto: picture alliance / SZ Photo

Es ist Tag Nummer vier nach dem verheerenden Terror in Israel. Ein weiterer Tag, der vom Krieg komplett überschattet wird und bei dem das beklemmende Gefühl überhandnimmt, wenn die Anzahl der Toten stündlich nach oben korrigiert wird.

Jedes Mal, wenn meine Augen auf diese Zahlen treffen, stehe ich da wie gelähmt. Das ist der Moment, in dem sich all die Fragen um das Warum in Luft auflösen. Denn ich habe keine Antwort darauf. Niemand hat sie.

War es das, was die Hamas tatsächlich beabsichtigte? Dass eine geballte Ladung Wut, immense Trauer, Hilflosigkeit und gähnende Leere in uns hervorgerufen werden. Natürlich hatte sie durch diese brutalste aller Operationen ein anderes politisches Kalkül, beabsichtigt sie andere Ziele – in den Augen der Hamas sind die Toten nur Kosmetik –, wollte sie den Überraschungseffekt erzielen, Israel an seiner Achillesferse treffen. Und natürlich war Israel abgelenkt, weil es nur mit sich selbst beschäftigt ist, weil die Regierung sich gerade selbst torpediert. Und jetzt?

Wie nichtig scheint eine viel diskutierte Justizreform mit einem Ministerpräsidenten, der Hybris an den Tag legt. Nun verschanzt sich auch er in seinem »Mamad«, verspürt wohl das erste Mal Angst in seinem Leben. Kaum etwas ist von ihm in diesen Tagen zu vernehmen.

Die Welt spaltet sich, wenn es um Israel geht

Und die Welt? Die spaltet sich, wie immer, wenn es um Israel geht. Plötzlich hat wieder jeder eine Meinung dazu. Plötzlich schießen wieder all jene wie Pilze aus dem Boden, die sich besonders überlegen fühlen, wenn sie finden, dass es noch andere Katastrophen auf der Welt gibt, über die man nicht spricht. Der Ukraine-Krieg. Gewiss. Auch in Afghanistan haben am Wochenende über 2000 Menschen durch ein Erdbeben ihr Leben verloren. Das ist grausam. Dafür gibt es genauso wenig Worte. Und doch, weshalb paralysiert mich der Krieg in Israel? Weil ich jüdisch bin? Weil ich an der Stelle all der Menschen hätte sein können?

Hart traf mich der beiläufige Kommentar eines entfernten Bekannten, der allen Ernstes meinte, wer nach Israel gehe, sei selbst schuld. Nun soll doch nicht etwa der Steuerzahler dafür bezahlen, dass Touristen nach Hause gebracht würden. Es sei ja schließlich jeder für sein eigenes Schicksal verantwortlich. Gerade in dem Moment, in dem es um jedes einzelne Schicksal geht, verschiebt sich auch die Semantik des Krieges. Ich diszipliniere mich, die schrecklichen Bilder, die uns viral erreichen, nicht anzusehen. Ich will nicht, dass die Hamas es schafft, mich zu lähmen.

Zum Glück gibt es auch die andere Seite. Jene, die große Solidarität zeigt und Hilfeleistungen verspricht. Die vielen Kundgebungen und Hilfsaktionen, das große Mitgefühl und die Betroffenheit könnten Hebel sein, um aktiv zu werden und etwas Gutes zu bewirken.
Der Alltag in Israel wird so schnell nicht mehr der alte sein. Die Gräueltaten des vergangenen Wochenendes werden sich ins kollektive Gedächtnis der Israelis, vermutlich aller Juden auf der Welt, einbrennen. Aber wir dürfen nicht zulassen, dass uns das alles lähmt. Sonst hat die Hamas noch mehr erreicht als das, was sie vermutlich beabsichtigt hat.

Kolumne

Aus der Schule des anarchischen Humors in Minsk

»Nackte Kanone« und »Kukly«: Was mich gegen die Vergötzung von Macht und Machthabern immunisierte

von Eugen El  24.12.2024

Rezension

Die Schönheit von David, Josef, Ruth und Esther

Ein Sammelband bietet Einblicke in die queere jüdische Subkultur im Kaiserreich und der Weimarer Republik

von Sabine Schereck  24.12.2024

Kultur

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 19. Dezember bis zum 2. Januar

 23.12.2024

documenta

Retterin aus den USA?

Naomi Beckwith übernimmt die Künstlerische Leitung der Kasseler Schau, die für 2027 geplant ist

von Eugen El  23.12.2024

Kino

Neue Chefin, neues Festival? Das bringt die Berlinale 2025

Tricia Tuttle übernimmt die Leitung des Filmfests, das vergangenes Jahr von einem Antisemitismus-Skandal überschattet wurde

 23.12.2024

Theater

Wenn Schicksale sich reimen

Yael Ronens »Replay« erzählt die Geschichte einer DDR-Familie in Zyklen

von Leonie Ettinger  22.12.2024

Gute Vorsätze

100 Prozent Planerfüllung

Warum unsere Redakteurin 2025 pünktlicher sein will als die Deutsche Bahn

von Katrin Richter  22.12.2024

Meinung

Eine Replik von Eva Menasse auf Lorenz S. Beckhardts Text »Der PEN Berlin und die Feinde Israels«

von Eva Menasse  21.12.2024

Hessen

Darmstadt: Jüdische Gemeinde stellt Strafanzeige gegen evangelische Gemeinde

Empörung wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024 Aktualisiert