Begegnung

Einakter gegen Judenhass

Wenn Iván Fischer ein Tier wäre, dann wahrscheinlich ein Wolf, denn der lebt gern in einem Rudel. »Ich bin kein Einzelgänger, sondern eher gesprächig, an anderen Menschen und an einem Miteinander interessiert«, sagt der 63-Jährige von sich selbst.

Wohl auch deshalb entschied er sich fürs Dirigieren. Die Musik, das Publikum und die Musiker möchte er zusammenbringen. Die Zuhörer sollen »mit Augen und Ohren hören« und so gebannt sein, dass sie sogar das Husten vergessen.

Ungewöhnliche Wege einschlagen mag der Chefdirigent des Berliner Konzerthausorchesters ebenso. So bietet er öffentliche Generalproben an, in denen er die Werke, die dort eingespielt werden, kurz erläutert, und dazu erzählt er dann auch schon mal die eine oder andere Anekdote – mit ruhiger Stimme und einem unverwechselbaren österreichischen Dialekt.

Familienkonzert Vor Kurzem musste für ein Familienkonzert sogar die gesamte Bestuhlung im großen Saal abmontiert werden, da Fischer wollte, dass die Kinder neben den Orchestermusikern im Saal sitzen und ihnen in die Noten schauen können. Gerne gibt der gebürtige Ungar auch sogenannte Überraschungskonzerte, in denen das Publikum erst am Abend erfährt, welche Werke er gemeinsam mit dem Konzerthausorchester aufführt.

Ein Wunsch ist bei Iván Fischer über die Jahre immer dominanter geworden: das Komponieren. Er möchte sich auch mit seinen Werken ausdrücken. Seine Ein-Akt-Oper The Red Heifer – Die rote Färse, die in Budapest Premiere hatte, wird im Juni im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt aufgeführt werden.

Als Protest gegen die wachsende Toleranz für Antisemitismus in Ungarn habe er sie geschrieben, denn inhaltlich nimmt Fischer Bezug auf die sogenannte Affäre von Tiszaeszlár, einen Ritualmordprozess aus dem Jahr 1882/83, der als Gipfel des frühen politischen Antisemitismus in Ungarn steht.

Ein verschwundenes christliches Mädchen, hieß es damals, sollte zum Pessachfest geopfert worden sein. Dieses Gerücht wurde durch eine aufgeheizte antisemitische Stimmung genährt. Die jüdischen Angeklagten wurden später indes freigesprochen. Seit Langem wollte Fischer diesen Stoff verarbeiten, aber es war die immer größer werdende Beliebtheit der rechtsextremen Jobbik-Partei, die ihn erst richtig dazu anspornte. Die Partei sei für ihre antisemitischen Kommentare bekannt und habe versucht, die Auswirkungen des Holocaust zu relativieren.

Orchester Ungarn entwickle sich in eine scheußliche Richtung, warnt Fischer. »Das ist eine Fahrt in den Abgrund.« Seine Frau und seine vier Kinder hat er mittlerweile nach Berlin geholt. Trotzdem reist er mehrmals im Jahr in das Land, da er das Budapester Festival Orchester, das er vor mehr als 30 Jahren mitgegründet hat, nicht im Stich lassen möchte – und die Konzertbesucher letztendlich auch nicht.

Musikalisch lässt Iván Fischer bei seinen Kompositionen verschiedene Musikstile »aufeinander knallen«, wie er es ausdrückt. Das voll besetzte Orchester in der knapp einstündigen Oper wird von einer Sinti-und-Roma-Band verstärkt, es gibt viele Anlehnungen an die Klezmer-Musik, aber auch Mozart ist zu erkennen. So entstünde eine raffinierte Mischung, postmoderne Musik, aber im Rahmen der Tonalität.

»Ich bin kein moderner Komponist, mein Kopf ist voll mit allen möglichen Musikstilen«, sagt Fischer. Heute würde man von der Musik aus dem Radio, von den Klingeltönen und den Geräuschen eines Liftes geprägt, und er möchte diese – ähnlich wie ein Maler bei seinen Collagen – zusammenstellen.

Nach dem Kompositionsstudium in Budapest hatte Fischer sein Diplom in der Dirigierklasse von Hans Swarowsky an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien gemacht. Für zwei Semester arbeitete er als Assistent von Nikolaus Harnoncourt am Salzburger Mozarteum. Zuvor studierte er Klavier, Geige und Cello. Nach dem Erfolg beim Dirigentenwettbewerb der Rupert Foundation in London 1976 begann seine internationale Karriere: Er wurde von den etlichen englischen Orchestern eingeladen, und es folgten Gastdirigate in zahlreichen Ländern.

Seit fast zwei Jahren ist er Chefdirigent des Berliner Konzerthausorchesters. Mittlerweile hat Fischer in fast allen großen Konzerthäusern am Pult gestanden und mit vielen renommierten Orchestern auf der ganzen Welt zusammengearbeitet. Er gilt als einer der weltweit visionärsten und erfolgreichsten Orchesterleiter. Er dirigiere nur Werke, zu denen er auch den Schlüssel habe, sagt Fischer. Vor allem die Kompositionen von Gustav Mahler stehen bei ihm regelmäßig auf dem Programm.

Cello Als Kind probierte Fischer mehrere Instrumente aus, bis ein Lehrer einen Blick auf seine Hände warf und zu ihm sagte: »Du musst Cello spielen.« Was er daraufhin auch tat. In Fischers Familie waren Literatur, Philosophie und Musik immer präsent. Und zu Hause hätte Johann Wolfgang von Goethe in Form einer Büste immer auf ihn geschaut. »Ich wollte die Welt verändern, nur in welcher Form – das war für mich als Kind noch unklar.«

Heute erinnert er sich gern an eine frühe Tagebucheintragung. »Der Tenor hat zu früh eingesetzt, und er hätte von einer anderen Seite auf die Bühne kommen müssen«, hatte der damals Achtjährige über die Aufführung einer Mozartoper notiert.

»Ich bin kein Urtextfanatiker«, sagt Iván Fischer über sich. Er mag es lieber etwas freier und kreativer. Und humorvoller. Das zeigt sich auch in den zweiminütigen Videos des Konzerthauses, in denen Fischer Fragen beantwortet wie »Hatten Sie jemals eine Panne? Wie klingt Russland? Darf ich in Turnschuhen kommen? Ist klassische Musik zum Joggen geeignet?«.

Bisher hätte er keinen unverwirklichten Traum gehabt, da seine immer wahr geworden seien, meint Iván Fischer. Doch nun gibt es einen: Fischer möchte einen zweiten Einakter komponieren, damit ein gesamter Konzertabend mit seiner Musik gefüllt werden kann.

Wolfenbüttel

Buch von jüdischem Sammler an Erben übergeben

Vom Raubgut zur Schenkung: Ein Buch aus der Sammlung des Juden Benny Mielziner wurde an dessen Erben zurückgegeben. Und bleibt nun trotzdem öffentlich in der Herzog-August-Bibliothek

von Raphael Schlimbach  02.04.2025

Osnabrück

Neue Bilder werfen neues Licht auf jüdischen Maler Felix Nussbaum

Das Nussbaum-Haus erhielt die Bilder von Maryvonne Collot, einer Nachfahrin der mit Nussbaum befreundeten Familie Giboux-Collot aus Brüssel

 02.04.2025

Antisemitismus

Gert Rosenthal: »Würde nicht mit Kippa durch Neukölln laufen«

Die Bedrohung durch Antisemitismus belastet viele Jüdinnen und Juden. Auch Gert Rosenthal sieht die Situation kritisch - und erläutert, welche Rolle sein Vater, der Entertainer Hans Rosenthal, heute spielen würde

 01.04.2025

Berlin

Hans Rosenthal entdeckte Show-Ideen in Fabriken

Zum 100. Geburtstag des jüdischen Entertainers erzählen seine Kinder über die Pläne, die er vor seinem Tod noch hatte. Ein »Dalli Dalli«-Nachfolger lag schon in der Schublade

von Christof Bock  01.04.2025

Künstliches Comeback

Deutschlandfunk lässt Hans Rosenthal wiederaufleben

Der Moderator ist bereits 1987 verstorben, doch nun soll seine Stimme wieder im Radio erklingen – dank KI

 01.04.2025

Interview

Günther Jauch: »Hans Rosenthal war ein Idol meiner Kindheit«

Der TV-Moderator über den legendären jüdischen Showmaster und seinen eigenen Auftritt bei »Dalli Dalli« vor 42 Jahren

von Michael Thaidigsmann  01.04.2025

Jubiläum

Immer auf dem Sprung

Der Mann flitzte förmlich zu schmissigen Big-Band-Klängen auf die Bühne. »Tempo ist unsere Devise«, so Hans Rosenthal bei der Premiere von »Dalli Dalli«. Das TV-Ratespiel bleibt nicht sein einziges Vermächtnis

von Joachim Heinz  01.04.2025

TV-Legende

Rosenthal-Spielfilm: Vom versteckten Juden zum Publikumsliebling

»Zwei Leben in Deutschland«, so der Titel seiner Autobiografie, hat Hans Rosenthal gelebt: Als von den Nazis verfolgter Jude und später als erfolgreicher Showmaster. Ein Spielfilm spürt diesem Zwiespalt nun gekonnt nach

von Katharina Zeckau  01.04.2025

Geschichte

»Der ist auch a Jid«

Vor 54 Jahren lief Hans Rosenthals »Dalli Dalli« zum ersten Mal im Fernsehen. Unser Autor erinnert sich daran, wie wichtig die Sendung für die junge Bundesrepublik und deutsche Juden war

von Lorenz S. Beckhardt  01.04.2025 Aktualisiert