Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, ist am Donnerstagabend im Wilhelm von Humboldt-Saal der Staatsbibliothek zu Berlin mit dem erstmals verliehenen Kulturpolitikpreis des Deutschen Kulturrats ausgezeichnet worden.
In ihrer Laudatio sagte Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur und Medien (CDU), der Zentralratspräsident entfalte »heilende Kräfte«, indem er den »Giften des Antisemitismus die Medizin der Aufklärung« entgegensetze und dazu beitrage, ein selbstbewusstes, lebensfrohes Judentum zu zelebrieren – nicht zuletzt mit dem Festjahr »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland«. Der Preisträger leiste »einen wesentlichen Beitrag zur interkulturellen und interreligiösen Verständigung und zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in demokratischer Vielfalt«.
vordenker Josef Schuster sei »ein wahrer Drahtseilkünstler«, so Grütters, »weil Sie Standfestigkeit und Trittsicherheit brauchen, um im Wechsel zwischen der energisch geballten Faust, dem Kampf gegen Antisemitismus, und der andererseits ausgestreckten Hand im interkulturellen Dialog das Gleichgewicht halten«. So schaffe es Schuster, nicht nur als Mahner Gehör zu finden, sondern auch als Vordenker und Gestalter.
Zur Preisverleihung unter Corona-Auflagen waren etwa 70 Gäste gekommen, unter ihnen Vertreter aus Kultur und Politik sowie der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein. Der undotierte Kulturpolitikpreis würdigt »das außerordentliche kulturelle wie kultur- und bildungspolitische Engagement und die stete Dialogbereitschaft mit anderen gesellschaftlichen Gruppen, die die Präsidentschaft von Josef Schuster im Zentralrat der Juden auszeichnet«. Der Arzt Josef Schuster ist seit 2014 Zentralratspräsident und zugleich Vizepräsident des World Jewish Congress und des European Jewish Congress. Seit 2020 ist er Mitglied im Deutschen Ethikrat.
In seiner Dankesrede zeigte sich Schuster erfreut darüber, dass in zahlreichen Orten Synagogen, jüdische Schulen und Ritualbäder restauriert worden seien. Auch dies sei Kulturpolitik: »Ich halte sie für ebenso wichtig wie die Kulturpolitik auf Bundes- oder auf internationaler Ebene. Denn ich bin überzeugt davon, dass so viele Bürger erreicht werden könnten, die nicht regelmäßig das Feuilleton großer Zeitungen lesen und an denen geschichtspolitische Debatten völlig vorbeigehen.«
KOLONIALZEIT In der Debatte über die Verbrechen der Kolonialzeit forderte Schuster ein hohes Verantwortungsbewusstsein von Wissenschaftlern. Generell halte er es für »gut, dass in Deutschland seit einiger Zeit intensiver und selbstkritisch über die Kolonialzeit und deren Folgen debattiert wird«, sagte Schuster. In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung werde allerdings verstärkt der Vergleich gezogen zur Aufarbeitung und Bedeutung der Schoa. Dies sei zum Teil problematisch und auch gefährlich.
Nicht akzeptabel sei es, »wenn bei Postkolonialisten zwischen den Zeilen die Forderung nach einem Schlussstrich unter die NS-Zeit mitschwingt«, sagte der Zentralratspräsident. Mitunter scheine ihm dies der Fall zu sein, wenn der Vorwurf erhoben werde, die Deutschen beschäftigten sich zu viel mit der Schoa, die »so etwas wie einen Alleinvertretungsanspruch in unserer Erinnerungskultur« habe. Dann rücke die Debatte »in gefährliche Nähe zum sekundären Antisemitismus, bei dem uns Juden vorgeworfen wird, wir zögen Vorteile aus den Schuldgefühlen und dem schlechten Gewissen der Deutschen«.
Nicht akzeptabel sei es, »wenn bei Postkolonialisten zwischen den Zeilen die Forderung nach einem Schlussstrich unter die NS-Zeit mitschwingt«, sagte der Zentralratspräsident.
Auch die »polemische These des australischen Historikers Dirk A. Moses, die Annahme von der Singularität oder der Präzedenzlosigkeit des Holocausts sei zum ›Katechismus‹ der Deutschen geworden«, sehe er problematisch, so Schuster. Wenn Wissenschaftler »von außen« über die deutsche Erinnerungskultur und den Umgang mit der NS-Zeit urteilen wollten, sollten sie das ruhig tun, aber auch beachten, in welchen aktuellen Kontext ihre Aussagen fielen: »Bei uns sitzen Abgeordnete im Deutschen Bundestag, die daraus sofort einen Freibrief zur Relativierung der NS-Verbrechen lesen.« Schuster betonte aber, er wolle keinem Wissenschaftler eine Nähe zu Rechtsextremisten unterstellen: »Das wäre völlig absurd.«
BDS Der Zentralratspräsident kritisierte, ihm fehle bei einigen Kulturschaffenden und Vertretern von Kulturinstitutionen ein »angemessenes Verantwortungsbewusstsein« im Zusammenhang mit der umstrittenen israelkritischen BDS-Bewegung.
Im Zusammenhang mit der »Initiative GG 5.3 Weltoffenheit« sagte er: »Wenn Leiter renommierter Kulturinstitutionen solche Erklärungen verfassen, werden sie meiner Meinung nach damit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht. Sie sollten vielmehr den antidemokratischen Kräften in unserem Land entgegenwirken.« ag
Lesen Sie mehr in der kommenden Printausgabe der Jüdischen Allgemeinen.