Jeanne Lampl-de Groot, 1895 im niederländischen Schiedam geboren, war eine niederländische Psychoanalytikerin. Bekannt wurde sie als Analysandin und spätere Weggefährtin von Sigmund Freud. Im Sommer 1921, nach dem Abschluss ihres Medizinstudiums, schreibt Jeanne ihren ersten Brief an Freud, um wegen einer Analyse anzufragen. Die von Gertie F. Bögels herausgegebene Briefkorrespondenz dauerte 18 Jahre an, bis zu Freuds Tod. 76 Briefe Freuds sind erhalten geblieben.
1922 geht Jeanne nach Wien, um ihre Analyse zu beginnen. Dort freundet sie sich mit dem jüdischen Psychoanalytiker Hans Lampl an, der zu diesem Zeitpunkt am Berliner Institut arbeitet. Drei Jahre später heiraten die beiden. Im Februar 1925 geht sie nach Berlin und setzt dort ihre psychoanalytische Ausbildung fort. 1933 fliehen die Lampls vor der faschistischen Gefahr nach Wien.
Auch Freud hatte ihnen hierzu geraten. Dort können sie nur knapp fünf Jahre bleiben: Parallel zur Flucht Freuds nach England fliehen sie im März 1938, »unter Zurücklassung ihres gesamten Wiener Besitzes«, vor den deutschen Nationalsozialisten weiter nach Den Haag.
Die Situation der Psychoanalyse in den demokratischen Niederlanden unterschied sich sehr von der durch »Selbstanpassung« gekennzeichneten Situation in Deutschland und Österreich. Mit der Besetzung der Niederlande durch Deutschland im Mai 1940 verstärkt sich der Druck auf die jüdischen Analytiker. Als diese behördlicherseits aus der Vereinigung ausgeschlossen werden, »kündigten die Mitglieder kollektiv ihre Mitgliedschaft«. Die niederländische psychoanalytische Vereinigung löst sich auf, die Ausbildung findet nun im Untergrund statt. Der Analytiker Karl Landauer wird in das Durchgangslager Westerborg, dann nach Bergen-Belsen deportiert, wo er Anfang 1945 stirbt.
Freundschaft Freud nimmt von Anfang an in direkter Weise Kontakt mit Jeanne Lampl-de Groot auf. Gleich im ersten Brief vom 11. September 1921 gibt er ihr konkrete, ermutigende Empfehlungen. Als er der Freundschaft zwischen Jeanne und Hans Lampl gewiss ist, geht Freud 1925 zum Du über und wünscht »Euch beiden die Fortdauer alles Guten!«.
Als sich andeutet, dass sie Eltern werden, versichert er ihr, dass »Sie beide sehr glückliche und närrische Eltern sein« werden: »Ihr Töchterchen ist eine kleine beauty und hat mir gerade mit ihrem ernsthaften Ausdruck besonders gut gefallen. Eine Schönheit braucht nicht zu lachen.«
In den Jahren der rassistischen Bedrohung bricht Freuds Zorn gegen die politisch »linken« Psychoanalytiker und Weggefährten durch: »Gleichzeitig habe ich den Kampf gegen die bolschewistischen Angreifer, Reich, Fenichel, begonnen. Meine nächste Absicht ist, die Redaktion zu wechseln und nach Wien zu verlegen.« Keine drei Wochen später tobt er über seine linken Kollegen: »Überall Umsturz und Unordnung.«
Am 2. März 1932 schreibt er offenherzig: »Gegen Fenichel habe ich eine schwer zu beschwichtigende Abneigung, auch wenn er sich von Reich abgewandt hat.« Zwei Wochen später gibt es Erfreulicheres zu berichten: Besuch von Thomas Mann. »Er ist ein reizender Mensch, nach ersten fünf Minuten konnte man mit ihm intim sein.«
Judenhetze Freuds Sorgen nehmen zu. Ende April schreibt er: »Die Zeiten sind eigentlich fürchterlich schlecht und ganz ohne Garantie einer erträglicheren Zukunft.« Am 1. Februar 1933 eine Bemerkung zu Hitler: »Wir sind alle gespannt darauf, was aus dem Programme des Reichskanzlers Hitler werden wird, dessen einziger positiver Punkt ja die Judenhetze ist.«
Im März 1933 bricht Freuds Erschütterung über die politischen Veränderungen durch: »Man kann nichts anderes tun, als abwarten und sich freuen, wenn wieder ein Tag ohne Schreckensnachricht vorbei ist. Mit unserem Kleinstaat Österreich ist irgendetwas Unheimliches los.«
Im April 1933 rät Freud Jeanne, »nach Berlin zurückzukommen, da Ihnen doch als Nichtdeutschen nichts droht«. In der »gegenwärtigen Ungeklärtheit« könne man »nichts entscheiden«. Dann bekommt Freud doch Zweifel: »Hält sich die Hitlerei und Sie haben doch einmal Ihr Los mit den Juden geworfen, so sollen Sie mit den Kindern freilich nicht in D. bleiben.«
Fehleinschätzung Freud vertraut weiter auf den Status Österreichs als unabhängigem Staat – eine Fehleinschätzung, die sich wenig später als tödlicher Irrtum erweisen sollte: »Wir halten an zwei Punkten fest, am Entschluß uns nicht wegzurühren und an der Erwartung, daß es bei uns nicht entfernt so werden kann wie in D. Wir sind auf dem Weg zu einer Diktatur der Rechtsparteien, die sich mit den Nazi verbünden werden. (…) Ausnahmegesetze gegen eine Minorität sind Österreich durch den Friedensvertrag ausdrücklich verboten, den Anschluß an Deutschland werden die Siegerstaaten nie zulassen und unser Pöbel ist ein Stück weniger brutal als der stammverwandte deutsche.«
Am 12. März 1938 der »Anschluss« Österreichs, am 4. Juni 1938 dann die international wahrgenommene Emigration des 82-jährigen Freud nach London. Neun Tage später ein Brief Freuds aus London an die nach Den Haag geflohene Jeanne: »Wir sind jetzt also wirklich in England angekommen, es ist sehr schön und die Öffentlichkeit, Freunde wie Fremde, bereitete uns einen warmen Empfang. (…) Man vermißt noch zu viel. So ist es auch sonderbar, daß Sie am letzten Samstagvormittag nicht da waren, um mich in einer Verhandlung mit dem kleinen Antiquariat zu stören.«
Am 8. Oktober 1938 erwähnt der schwer krebskranke Freud eine erneute Operation, »die die ärgste war seit 1923«. Für seinen privilegierten Zustand als betagter jüdischer Flüchtling findet er eine literarische Formulierung: »Kurz, es ist ein Stück kleines Emigrantenelend neben dem großen. England ist bei all seiner Herrlichkeit ein Land für reiche und gesunde Leute. Auch sollen sie nicht zu alt sein.« Elf Monate später stirbt der große weise, sich politisch irrende Begründer der Psychoanalyse im Londoner Exil.
Sigmund Freud: »Briefe an Jeanne Lampl-de Groot 1921–1939«. Herausgegeben von Gertie F. Bögels. Psychosozial, Gießen 2018, 184 S., 24,90 €