Mr. Broomfield, Ihr Film ist kürzlich am dritten Todestag von Leonard Cohen in den deutschen Kinos angelaufen. Das war aber sicher nicht der ausschlaggebende Grund, diesen Film jetzt zu machen, oder?
Marianne und Leonard hatten auf ihre Art und Weise beide großen Einfluss auf mein Leben. Marianne ermutigte mich, meinen ersten Film zu machen und Filmemacher zu werden. Als sie plötzlich starb, führte das – wie meist, wenn eine für Dich wichtige Person stirbt – dazu, dass ich über diese Zeit in meinem Leben nachdachte. Das war der Ausgangspunkt für diesen Film.
Die Wichtigkeit von Marianne für Sie und Ihre Karriere als Filmemacher taucht im Film an mehreren Stellen auf, was aber bedeutete Leonard Cohen für Sie?
Für meine Arbeit hatte er nicht dieselbe Bedeutung, aber er war jemand, der offensichtlich eine große Rolle in Mariannes Leben spielte. Er war eine Art Mentor für sie, und auch ich sah in gewisser Weise zu ihm auf, auch wenn ich nicht alles verstand, was er machte, etwa sein Ausprobieren von Scientology und Buddhismus. Ich selbst kannte ihn eher in einer späteren Phase, als ich in Los Angeles lebte. Wir hatten damals beide Dates mit Schauspielerinnen, so trafen wir uns bei zahlreichen Events, wie etwa der Emmy-Verleihung. Solche Veranstaltungen sind eher langweilig und alle hängen sich an die Prominenten, so kam ich oft mit ihm ins Gespräch.
Haben Sie dabei auch über Marianne gesprochen?
Mehr über Axel, ihren Sohn. Leonard machte sich damals große Sorgen um ihn. Da ich einer der wenigen war, die Axel von früher her kannten, kamen wir immer wieder auf ihn zu sprechen.
Ihr Film verwendet eine Vielfalt von Material, wie Home Movies oder Auftritten in Fernsehshows. War Ihnen der Estate von Leonard Cohen dabei behilflich – anders als bei Whitney Houston?
Mit dem Estate hatte ich hier gar nichts zu tun, dies ist mein eigener persönlicher Film über meine Erinnerungen.
Die sehr ergreifenden Aufnahmen von Marianne Ihlen im Krankenhaus kurz vor ihrem Tod stammen von dem Mann, der sie im Krankenhaus besuchte …
Ja, Jan Christian Mollestad. Er arbeitete damals an einem Film über Mariannes ersten Ehemann, den Schriftsteller Axel Jensen. Er war ein guter Freud von Marianne und stand ihr sehr nah. Soweit ich weiß, arbeitet er immer noch an einem Film über Axel und Marianne, die auch dessen Muse war – ich kann Ihnen aber nicht sagen, wann der fertig sein wird. Ich habe ihn zufällig getroffen als ich bei einem kleinen Festival in Norwegen meinen Film über Whitney Houston zeigte. Jan lebte in der Nähe und er zeigte mir in seinem Haus einiges von seinem Material – manchmal sind die Götter mit Dir.
Ich vermute, vieles von dem Material, das Sie in Ihrem Film zeigen, war der Öffentlichkeit bisher unbekannt.
Das ist richtig.
Und etwas davon stammt wiederum von Rudi Dolezal, der einen Credit hat und zu Ihrem Whitney-Houston-Film einiges beisteuerte?
Ja, das ist die Szene, wo Leonard Cohen im Bus singt. Eine zweite Szene fiel dem letzten Schnitt zum Opfer.
In Ihren früheren Filmen sind Sie der Reporter, der den Porträtierten auf den Fersen bleibt, auch wenn die sich Ihnen verweigern – »Tracking Down Maggie« über die britische Premierministerin Margaret Thatcher ist ein programmatischer Titel. Ich vermute, bei diesem Film haben Sie mehr Zeit im Schneideraum verbracht und überlegt, wie Sie das ganze vorhandene disparate Material zusammenfügen konnten?
Das stimmt. Dies war aber auch ein viel persönlicherer Film. Im Schneideraum musste ich mich immer wieder fragen, wie ich meine eigenen Erfahrungen in diese Geschichte miteinbaue, ohne dass dies von der Geschichte zwischen Marianne und Leonard ablenkte. Das war eine der großen Herausforderungen bei diesem Film, eröffnete aber zugleich eine Möglichkeit, die Geschichte zu strukturieren.
Kürzlich feierte Ihr jüngster Film Premiere beim New York Film Festival. Der Titel »My Father & Me« deutet darauf hin, dass das ein noch viel persönlicherer Film sein wird …
Man kann sagen, dass »Marianne & Leonard« mir den Mut verliehen hat, einen Film über meinen Vater zu machen. Mein Vater war Fotograf und wird im kommenden Jahr mit einer großen Ausstellung im Victoria & Albert Museum geehrt. Das war ein doppelter Anlass. In meinen früheren Filmen ging es um andere Menschen, ich habe nicht von mir gesprochen. Insofern war »Marianne & Leonard« sehr wichtig, auch für künftige Filme.
Ist »My Father & Me« wie dieser Film ein zugeneigtes Werk oder werden wir auch einige dunklere Seiten zu sehen bekommen?
Ich denke, alle Beziehungen zwischen Kindern und Eltern sind Achterbahnfahrten mit Höhen und Tiefen. Mein Vater kam aus der Arbeiterklasse und ging mit 15 Jahren von der Schule ab um in Fabriken zu arbeiten – die er dann später fotografierte. Er hatte großen Respekt für die Arbeiter, manche seiner Fotos erinnern mit ihrer dramatischen Ausleuchtung an sowjetische Revolutionsfotografien. Er arbeitete später für große Unternehmen und hatte ziemlichen Erfolg. So wuchs ich in einer angenehmen Umgebung auf und meine Eltern konnten mich auf Privatschulen schicken, ich habe also direkt von seiner Arbeit profitiert. Er hat mich auch mehrfach in die Fabriken mitgenommen, wo mich der Lärm und der Schmutz eher abgeschreckt haben. Als ich mit meiner Filmarbeit begann, stand ich diesen Fabriken sehr kritisch gegenüber und hatte gegensätzliche Auffassungen zu seinen. Ich denke, meine frühen Filme mochte mein Vater deshalb nicht, wir entfernten uns damals voneinander. Glücklicherweise lebte er sehr lange und als so hatten wir in den letzten dreißig Jahren seines Lebens eine sehr ausgeglichene Beziehung.
Falls Sie eines Tages einen Film über »The Making of Nick Broomfield, documentary film maker« machen, werden wir darin dann noch mehr sehen können über den Einfluss von Marianne Ihlen – oder haben Sie das hier alles schon verwendet?
Nein, alles habe ich hier noch nicht verwendet, da gibt es durchaus noch mehr. Marianne war eine erstaunliche Person, weil sie das Talent hatte, die kreativen Potentiale anderer Menschen aufzuspüren und sie zu ermutigen. Das gilt etwa für die Sängerin Julie Felix (die ja auch im Film vorkommt). Ich denke, sie hatte auch großen Anteil daran, dass Leonard Cohen sich vom Schriftsteller zum Sänger weiterentwickelte. Sie war in dieser Hinsicht sehr selbstlos und stellte ihre eigenen Talente (wie etwa die Malerei) oft zurück.
Das Interview mit dem Regisseur führte Frank Armold.