Karl Erich Grözinger, einer der besten Kenner der jüdischen Religionsgeschichte und des osteuropäischen Judentums, der Kabbala, des Chassidismus und der mittelalterlichen wie der neuzeitlichen jüdischen Philosophie, feiert am 4. Februar in Berlin seinen 70. Geburtstag.
Der Emeritus war von 1994 bis 2007 Lehrstuhlinhaber am Institut für Religionswissenschaft der Universität Potsdam und dort Mitbegründer des ersten interdisziplinären kulturwissenschaftlichen Studiengangs für Jüdische Studien in der Bundesrepublik Deutschland. Grözinger war außerdem maßgeblich an der Gestaltung des brandenburgischen Studienganges »Lebensgestaltung Ethik Religionskunde« beteiligt und begründete die Vereinigung für Jüdische Studien.
Qumran Seit seiner frühen Studentenzeit in Tübingen mit dem Judentum befasst, führte ihn sein weiteres Studium nach Berlin und Heidelberg sowie an die Hebräische Universität in Jerusalem. Nach einigen Jahren an der Qumran-Forschungsstelle über die Schriftrollen vom Toten Meer in Heidelberg begann seine eigentliche wissenschaftliche Karriere in Frankfurt am Main, wo er 1975 in den Fächern Judaistik und Semitistik zum Dr. phil. promovierte und sich 1980 mit der Schrift Musik und Gesang in der Theologie der frühen jüdischen Literatur, die mittlerweile als Standardwerk gilt, habilitierte.
Ebenfalls in Frankfurt wurde Grözinger zum Privatdozenten und schließlich zum Honorarprofessor ernannt. 1989 folgte ein Ruf an die Universität Lund (Schweden), wo er als Ordinarius den neu errichteten Lehrstuhl für Judaistik bekleidete.
Grözingers zahlreiche Publikationen befassen sich mit allen Phasen der jüdischen Religions- und Geistesgeschichte, er ist Fellow des Instituts für Advanced Studies in Jerusalem und Affiliated Professor der Universität Haifa.
Stereotyp Dabei ist der 70-jährige junggebliebene Geisteswissenschaftler aber kein Mensch im Elfenbeinturm. Ganz im Gegenteil. Verbindlich in seiner Art und mit weicher schwäbischer Mundart ausgestattet, ist der in Stuttgart geborene Professor scharfzüngig, wenn es gilt, Israel zu verteidigen. Ebenso wehrt er sich in Leserbriefen und Kommentaren gegen antisemitische Stereotype.
Als Gastprofessor wirkte Grözinger an mehreren Universitäten unter anderem in den USA, in Polen und in Israel – dem Land, dem er sich seit seinen Jerusalemer Studienjahren besonders verbunden fühlt und in dem er auch seine Frau Elvira kennenlernte, mit der er seit 1968 verheiratet ist.
Immer wieder, auch nach seiner Emeritierung, führt ihn sein Weg zu Forschungszwecken nach Israel. Demnächst ist wieder ein längerer Aufenthalt geplant, der der Arbeit am vierten Band seiner allseits hochgeachteten umfassenden Geistesgeschichte des Judentums: Jüdisches Denken. Theologie, Philosophie, Mystik gewidmet sein wird. Befassen sich die ersten drei Bände mit den Anfängen in biblischer Zeit bis zur Reformbewegung im 19. Jahrhundert, wird Grözinger den Bogen nun bis in die Gegenwart spannen.