Redezeit

»Ein Revolutionär«

»Kein Staat wird ohne Grund so fanatisch verurteilt wie Israel«: Joshua Sobol Foto: imago

Herr Sobol, Sie führen zurzeit gemeinsam mit Dieter Wedel die Geschichte des Joseph Süß Oppenheimer bei den Nibelungen-Festspielen in Worms auf. Was fasziniert Sie an dem Stoff?
Als Dramatiker ist es für mich wichtig, dass eine Handlung immer auch über sich selbst hinaus weist und in gewissem Sinne zeitlos ist. Dies ist beim Schicksal von Joseph Süß der Fall. Die Mechanismen, die vor mehr als 300 Jahren zu seiner Hinrichtung durch die Justiz führten, sind dieselben, die heute für die Verurteilung Israels ausschlaggebend sind.

Sie sehen in Süß einen Archetypus für das heutige Israel?
Die Parallelen liegen auf der Hand. Er wurde damals, obwohl er unschuldig war und sich um Württemberg außerordentlich verdient gemacht hatte, als »raffgieriger« Jude von der Justiz hingerichtet. Israel ergeht es ähnlich: Kein anderer Staat in der Welt wird ohne Grund so fanatisch und andauernd verurteilt. Und so, wie sich die Elite damals einzig und allein über Süß ereiferte, stellen heute Teile der europäischen intellektuellen Klasse Israels Existenzrecht infrage, ohne auch nur ein Wort über Demokratiedefizite in China oder Russland zu verlieren.

Gibt Ihre Inszenierung eine Antwort auf die Frage, warum es über die Jahrhunderte gleich geblieben ist, dass Menschen bei Schwierigkeiten die Schuld stets bei Minderheiten wie Juden suchen?
Es ist für Menschen schlicht und einfach bequemer, einen Sündenbock verantwortlich zu machen, als selbst eine Lösung zu finden. Schauen Sie in die islamische Welt: Vor dem »arabischen Frühling« hat man dort jahrzehntelang die USA und Israel bezichtigt, ihre Länder zu unterdrücken, anstatt die Fehler bei den eigenen Herrschern wie Gaddafi, Saleh und Assad zu suchen. Im Fall Süß kommt hinzu, dass er seiner Zeit weit voraus war, was seine Mitmenschen im 18. Jahrhundert fast zwangsläufig verstören musste.

Woran ist er letztlich gescheitert?
An seinem Glauben an die menschliche Rationalität. In seiner Funktion als Finanzberater des Herzogs versuchte er durchzusetzen, dass auch der Adel Steuern zahlen sollte, da die Staatskasse in Württemberg leer war. Einen solchen Vorschlag, wenngleich notwendig, hatte es bisher nicht gegeben – eine unerhörte, eine geradezu revolutionäre Idee. Er hätte wissen müssen, dass sein Vorstoß zu fortschrittlich war und der Adel sich mit aller Macht dagegen stemmen würde, zumal der Impuls von einem Juden kam.

Welchen Bezug hatte Oppenheimer zum Judentum?
Er war vollkommen assimiliert und machte sich nicht viel aus Religion, auch wenn er später das Angebot abschlug, zum Christentum zu konvertieren. Umso mehr war er dem luxuriösen Leben zugewandt, liebte teure Weine, üppige Abendessen in großer Runde – und er liebte die Frauen. Er war ein Vorreiter der sexuellen Revolution. Ich bin mir sicher, die 68er hätten an ihm Gefallen gefunden.

Joshua Sobol wurde 1939 in Tel Aviv als Sohn osteuropäischer Einwanderer geboren. In seinen mehr als 50, zumeist weltweit aufgeführten Theaterstücken setzt Sobol sich häufig mit zentralen Themen der jüdisch-europäischen Geschichte und der Gegenwart auseinander. International bekannt wurde er mit dem Theaterstück »Ghetto«, das Peter Zadek 1984 an der Berliner Volksbühne herausbrachte. »Ghetto« wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt, in über 25 Ländern aufgeführt und in Deutschland zum besten Stück des Jahres gewählt.

Aufgegabelt

Mazze-Sandwich-Eis

Rezepte und Leckeres

 18.04.2025

Pro & Contra

Ist ein Handyverbot der richtige Weg?

Tel Aviv verbannt Smartphones aus den Grundschulen. Eine gute Entscheidung? Zwei Meinungen zur Debatte

von Sabine Brandes, Sima Purits  18.04.2025

Literatur

Schon 100 Jahre aktuell: Tucholskys »Zentrale«

Dass jemand einen Text schreibt, der 100 Jahre später noch genauso relevant ist wie zu seiner Entstehungszeit, kommt nicht allzu oft vor

von Christoph Driessen  18.04.2025

Kulturkolumne

Als Maulwurf gegen die Rechthaberitis

Von meinen Pessach-Oster-Vorsätzen

von Maria Ossowski  18.04.2025

Meinung

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  18.04.2025

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  17.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 17.04.2025

Bericht zur Pressefreiheit

Jüdischer Journalisten-Verband kritisiert Reporter ohne Grenzen

Die Reporter ohne Grenzen hatten einen verengten Meinungskorridor bei der Nahost-Berichterstattung in Deutschland beklagt. Daran gibt es nun scharfe Kritik

 17.04.2025

Interview

»Die ganze Bandbreite«

Programmdirektorin Lea Wohl von Haselberg über das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg und israelisches Kino nach dem 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  16.04.2025