Edition

Ein mörderischer Spießer

Der Briefwechsel zwischen Heinrich Himmler und seiner Frau wirft ein Licht auf die Psyche des SS-Chefs

von Harald Loch  17.02.2014 21:49 Uhr

Familienidyll: Heinrich Himmler mit Ehefrau und Tochter Foto: dpa

Der Briefwechsel zwischen Heinrich Himmler und seiner Frau wirft ein Licht auf die Psyche des SS-Chefs

von Harald Loch  17.02.2014 21:49 Uhr

Gehen uns die privaten Briefe zwischen den Eheleuten Heinrich und Margarete, genannt Marga Himmler überhaupt etwas an? Gibt es so etwas wie ein öffentliches Interesse an der Alltagskorrespondenz von Personen der Zeitgeschichte, die sich einen solchen Blick in ihre Privatsphäre gefallen lassen müssen, weil sie sich selbst freiwillig und meist mit einem gewissen Genuss der Öffentlichkeit ihrer Zeit ausgesetzt haben?

Die Geschichtswissenschaft wird aus dem Briefewechsel zwischen den Eheleuten Himmler keine neuen Erkenntnisse über den Nationalsozialismus, über die Schoa oder die Blutspur der SS gewinnen können. Ein psychoanalytisch schärfer gezeichnetes Persönlichkeitsprofil des »Reichsführers SS« ergibt sich ohne persönliche Kenntnis und ohne die Möglichkeit der Rückfrage ohnehin nicht. Was bleibt, ist ein eher anthropologisches oder auch philosophisches Interesse: Was für ein Mensch war der Massenmörder Heinrich Himmler?

antworten Auf diese Frage gibt der von dem Historiker an der Berliner Humboldt-Universität Michael Wildt und von der Großnichte Himmlers, der Politikwissenschaftlerin Katrin Himmler, herausgegebene Band Himmler privat – Briefe eines Massenmörders verschiedene Antworten. Es handelt sich um die ausgewählte Korrespondenz zwischen einer der höchsten Nazi-Größen mit seiner um sieben Jahre älteren Ehefrau Marga, geborene Boden. Beide lernten sich 1927 in einem Bahnabteil kennen, stellten bald ihre Geistesverwandtschaft fest: Sie waren eingefleischte, aggressive Antisemiten, verherrlichten »germanische Tugenden«, wollten sich landwirtschaftlich – »von der eigenen Scholle« – selbst versorgen und liebten sich auf eine aus ihren Briefen nur teilweise nachvollziehbare Weise.

Das jetzt erschienene Korrespondenzbuch wäre für das allgemeine Publikum kaum verständlich, wenn es nicht zeitgeschichtlich und biografisch kommentiert wäre. Die beiden Herausgeber haben den Briefen knappe und präzise Skizzen mit dem politischen und lebensgeschichtlichen Hintergrund Himmlers unterlegt, sodass sich eine unwirkliche und krasse Spannung zwischen der kleinbürgerlichen Idylle des Familienlebens und dem mörderischen Wirken Heinrich Himmlers entwickelt.

routine Wer zwischen den Zeilen zu lesen vermag, wird in der täglichen Routine des Briefeschreibens und der gebetsmühlenartigen Wiederholung derselben abgegriffenen Liebesbekundungen, in einer gewissen Gefühlskälte und in den wenigen politischen Kommentaren zu dem Ereignissen vor und während des Krieges ahnen, dass das »kleine Karo« des privaten Lebens und die großen Mordtaten Heinrich Himmlers doch irgendwie zueinander passen.

Mag diese Feststellung zunächst auch nur für dieses prominente Nazi-Ehepaar gelten – die nach einer kaum nachvollziehbaren Odyssee erst jetzt zugänglich gewordenen Dokumente machen Heinrich Himmler zu dem privat am besten beleuchteten Naziführer –, mag man also nicht von diesem Ehepaar auf andere Verbrecher der Schoa schließen können; es drängt sich jedenfalls der Eindruck auf, dass die ausgeprägte kleinbürgerliche Atmosphäre im Hause Himmler in einem gewissen Zusammenhang mit den nach wie vor kaum erklärlichen Verbrechen steht.

Ein solcher Befund würde sich auch mit soziologischen Wahlanalysen aus der Zeit bis 1933 und aus Ex-post-Untersuchungen über das Verhalten der »ganz normalen Deutschen« in dieser Zeit decken. In diesem Sinne bekommt der Briefwechsel zwischen Heinrich Himmler und seiner Ehefrau eine Bedeutung, die dem Buch – zusammen mit erklärendem Begleitmaterial – eine kritische Rezeption wünschen lässt. Für Voyeure gibt es dagegen nichts her.

Katrin Himmler und Michael Wildt: »Himmler privat – Briefe eines Massenmörders«. Piper, München 2014, 400 S., 24,99 €

Theater

Wenn Schicksale sich reimen

Yael Ronens »Replay« erzählt die Geschichte einer DDR-Familie in Zyklen

von Leonie Ettinger  22.12.2024

Gute Vorsätze

100 Prozent Planerfüllung

Warum unsere Redakteurin 2025 pünktlicher sein will als die Deutsche Bahn

von Katrin Richter  22.12.2024

Meinung

Eine Replik von Eva Menasse auf Lorenz S. Beckhardts Text »Der PEN Berlin und die Feinde Israels«

von Eva Menasse  21.12.2024

Hessen

Darmstadt: Jüdische Gemeinde stellt Strafanzeige gegen evangelische Gemeinde

Empörung wegen antisemitischer Symbole auf Weihnachtsmarkt

 19.12.2024 Aktualisiert

Kino

Film-Drama um Freud und den Lieben Gott

»Freud - Jenseits des Glaubens« ist ein kammerspielartiges Dialogdrama über eine Begegnung zwischen Sigmund Freud und dem Schriftsteller C.S. Lewis kurz vor dem Tod des berühmten Psychoanalytikers

von Christian Horn  19.12.2024

TV-Tipp

»Oliver Twist«: Herausragende Dickens-Verfilmung von Roman Polanski

Sittengemälde als düstere Bestandsaufnahme über die geschilderte Zeitperiode hinaus

von Jan Lehr  19.12.2024

Literatur

Gefeierter Romancier und politischer Autor: 150 Jahre Thomas Mann

Seine Romane prägten eine Epoche und werden noch heute weltweit gelesen. Zugleich war Thomas Mann auch ein politischer Autor, woran im Jubiläumsjahr 2025 zahlreiche Publikationen erinnern

von Klaus Blume  19.12.2024

Glosse

Kniefall 2.0

Ist Markus Söder jetzt alles Wurst oder erfüllt er nur die Erwartungen der jüdischen Gemeinschaft?

von Michael Thaidigsmann  19.12.2024

Aufgegabelt

Einstein-Lachs-Tatar

Rezept der Woche

 19.12.2024