Alfred Schnittke, der heute vor 20 Jahren am 3. August 1998 in Hamburg starb, war einer der großen russischen Komponisten in der Zeit nach Schostakowitsch. Wie viele andere Künstler hatte er immer wieder Schwierigkeiten mit der Kulturpolitik der UdSSR. Er nutzte jede Gelegenheit, in Westeuropa zu studieren und zu komponieren.
Schon seine Herkunft war zur Zeit des Stalinismus ein Makel: Alfred Schnittke wurde am 24. September 1934 in Engels in der wolgadeutschen Sowjetrepublik geboren. Sein Vater Harry Schnittke, ein jüdischer Journalist und Übersetzer, stammte aus Frankfurt am Main, seine Mutter, die Deutschlehrerin Marie Vogel, war Wolgadeutsche. Stalin stellte die Wolgadeutschen unter den Verdacht der Kollaboration, sie wurden deportiert und in Arbeitslager gezwungen.
Moskau Der junge Schnittke aber konnte 1946 in Wien – wo die Familie eine Zeit lang lebte – mit seiner musikalischen Ausbildung beginnen. Ab 1953, dem Todesjahr Stalins, studierte er am Moskauer Konservatorium. Von 1961 an unterrichtete er dort selbst Komposition, 1973 gab er die Lehrtätigkeit zugunsten des Komponierens auf.
Schnittke war außerordentlich produktiv: neun Symphonien, vier Streichquartette, zahlreiche Orchester- und Chorwerke, Kammermusik in ganz verschiedenen Besetzungen. Und er komponierte drei Opern, die aber erst in den 90er-Jahren entstanden, als er bereits in Hamburg lebte.
Er entwickelte einen eigenen Stil, die Polystilistik: Schnittke verarbeitete in seinen Kompositionen Zitate aus verschiedenen Zeiten und Genres, vom klassischen Barock bis zum aktuellen Schlager. Er konfrontierte innerhalb eines eigenen Werks die vergangene Musik mit der gegenwärtigen.
Freiheit Auf den ersten Blick überraschend ist seine umfangreiche Tätigkeit für den sowjetischen Film. Zu mehr als 70 Filmen hat er die Musik komponiert, darunter für sehr bekannte Werke wie Die Kommissarin (1967) von Alexander Askoldow, das erst in der Perestroika-Zeit 1987 uraufgeführt werden konnte. Die Filmindustrie in der Sowjetunion besaß erstaunlich viel künstlerische Freiheit, und sie zahlte nicht schlecht.
1992 komponierte Schnittke für das ZDF die Musik zu dem Stummfilm Die letzten Tage von St. Petersburg (1927) von Wsewolod Pudowkin. Sein Partner bei diesem und einigen anderen Filmen war Frank Strobel – der Filmspezialist unter den deutschen Dirigenten.
Schnittke erlitt 1985 seinen ersten Schlaganfall. 1990 konnte er nach Hamburg umziehen, bekam eine Professur für Komposition an der Musikhochschule. In Hamburg erlitt er noch drei weitere Schlaganfälle.
Triumph Trotz dieser starken Beeinträchtigung schuf er dort noch einige seiner wichtigsten Werke, darunter seine Opern. Diese wenigen Hamburger Jahre waren seine große Zeit. Bedeutende Musiker und Dirigenten, darunter Freunde wie der Geiger Gidon Kremer oder der Dirigent Gennadi Roschdestwenski, führten seine Kompositionen auf, besonders auf den großen Musikfestivals. Das machte ihn bekannt.
Der wohl größte Triumph war 1992 die Uraufführung seiner ersten Oper Leben mit einem Idioten in Amsterdam, dirigiert von Mstislaw Rostropowitsch. Die Amsterdamer Aufführung, musikalisch hinreißend, wurde zum Horrortrip durch eine Familienkatastrophe, ausgelöst durch einen Eindringling namens Wowa.
Die beiden anderen Opern, beide 1995 uraufgeführt, reichen nicht an die Vitalität des Idioten heran. Gesualdo, die Geschichte des Komponisten und Mörders, der 1613 starb, und die Faust-Oper Historia von D. Johann Fausten – nicht nach Goethe, sondern nach einer frühen Version von 1587 – sind bisher kaum gespielt, also auch kaum auf ihre theatralische Kraft getestet worden.
Staatsakt Schnittke trat kurz vor seinem Tod in Hamburg zum Christentum über. Beigesetzt wurde er in einem Staatsakt auf dem Nowodewitschi-Friedhof in Moskau. Russland hat sich mit diesem Akt doch noch zu seinem berühmten Sohn bekannt.
Heute ist es um Schnittkes Werk ruhiger geworden. So wurde zum Beispiel die Oper Leben mit einem Idioten nach der Amsterdamer Uraufführung schon 1993 in Wuppertal gespielt, aber dann erst wieder im vergangenen Jahr im experimentierfreudigen Stadttheater in Gießen, wo das Publikum sehr positiv reagierte.
Es gibt es genug Werke, mit denen man eine Wieder- oder Neuentdeckung starten könnte, zum Beispiel das wunderschöne kleine Stück Moz-Art, von dem mehrere Versionen existieren. Gidon Kremer spielt es bis heute in seinen Konzerten immer wieder gern – und trägt so bewusst dazu bei, Schnittkes Werk am Leben zu erhalten.