Film

Ein Land als Leinwandstar

Filme über das Land Israel sind so alt wie der Zionismus. Erste Aufnahmen entstanden vor 1900, und zum Wiener Zionistischen Kongress 1913 gab es bereits einen Dokumentarfilm mit dem Titel Das Leben der Juden in Eretz Israel.

Theodor Herzl war zwar kein Kinogänger, aber die zionistische Bewegung erkannte trotz aller inneren Widerstände die Bedeutung und die Kraft des visuellen Zionismus. In den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts kamen mit der wachsenden Einwanderung, der Alija, Filmregisseure aus Russland, Polen und nach 1933 aus Deutschland ins Land.

Neben Dokumentarfilmen und Wochenschauen für die Kinos in den Städten und Vorführungen in Kibbuzim entstanden erste Spielfilme – Sabra, Oded der Wanderer und Awodah des bekannten Berliner Fotografen und Kameramanns Helmar Lerski, der unter anderem mit Fritz Lang gearbeitet hatte.

Stummfilm Beeinflusst von der deutschsprachigen Filmtradition der Zwischenkriegszeit, dem russischen Film und dem Übergang vom Stumm- zum Tonfilm versuchten die unter dem britischen Mandat arbeitenden jüdischen Filmemacher, eine eigene Filmsprache zu formen und die Grundlagen für ein Nationales Kino zu schaffen.

Dem kam zugute, dass in den Kinos in Eretz Israel vorwiegend deutsch- und englischsprachige Filme gespielt wurden. Fotos aus den 30er-Jahren von der Mograbi-Oper oder vom Kino Esther am Dizengoff Square in Tel Aviv zeigen jede Menge beliebte Stars der Ufa und der Wiener Filmtradition. Die Ausbildung eines eigenen, unabhängigen, Iwrit sprechenden Tonfilms, der den Bedingungen des Landes und den Anforderungen einer identitätsfindenden visuellen Kultur entsprach, wurde zu einer Herausforderung, der sich die eingewanderten und im Land Geborenen stellen mussten.

Ufaliya Einen Grundstein der israelischen Filmindustrie legte Margot Klausner, Tochter des Besitzers der Berliner Schuhfirma Leiser. Sie brachte in den 20er-Jahren das Habimah-Theater nach Tel Aviv und begann mit kleinen Filmproduktionen, bis sie 1949 in Herzliya die »Israel Motion Picture Studios Herzliya« gründete und über 25 Jahre leitete. In den Tel Aviver Cafés wurde bald nur noch von »Ufaliya« gesprochen, wo, wie man wusste, die Jekkes im Filmstudio sicher nur Deutsch sprachen

Viele der wichtigsten Spielfilme vor und nach der Staatsgründung entstanden in Klausners Studio. In den 50er-Jahren erzählten die meisten Filme mit nur geringen Mitteln Geschichten vom Aufbau, von persönlichen Konflikten und Spannungen zwischen den Einwanderern aus Europa und Nordafrika, von den Erlebnissen und Traumatisierungen der Überlebenden der Schoa.

Im Zentrum von Migration und Integration standen oft Kinder und Jugendliche, die in Eretz Israel Zuflucht gefunden hatten.
Wer Filme wie Out of Evil, Tent City oder Ceasefire sieht, versteht, dass in Israel nach 1949 entgegen manchen Publikationen über israelische Kultur die Vergangenheit nicht beschwiegen wurde, sondern dass in den Filmen eine immens dramatisch und emotional berührende Auseinandersetzung mit der Schoa, den tiefen emotionalen Verwundungen der Überlebenden stattfand – während in Deutschland der Förster vom Silberwald die Herzen erfreute.

Hollywood Die frühen Filme sind heute meist vergessen, da der Mangel an finanziellen und technischen Mitteln im Vergleich zu Filmen aus Hollywood oder Paris sehr spürbar ist. Der junge israelische Film hatte mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Förderer waren in den ersten Jahren meist die großen jüdischen und zionistischen Organisationen, etwa die Histadrut. Eine staatliche Filmförderung gab es noch nicht. Die Filme waren ästhetisch oft auf der Suche, vom italienischen Neorealismus beeinflusst, mussten mit Filmimporten konkurrieren und fanden dennoch als eigene Produktionen starken Widerhall in hebräischen Zeitungen und Filmmagazinen.

Filme wie Hill 24 Doesn’t Answer von 1955 waren dem Jischuw vor 1948 und dem Unabhängigkeitskrieg gewidmet. Im Zentrum anderer Filme der 50er-Jahre wie Jonathan und Tali oder Tel Aviv Taxi standen Geschichten einer Migrationsgesellschaft, Dramen von Verlust, Liebe und dem Aufwachsen in der neuen Gesellschaft. Spielfilme wie Pillar of Fire von 1959 verbanden den Unabhängigkeitskrieg und die Schoa mit dem Entstehen des neuen Staates. Der Film sollte ein internationales Publikum erreichen und wurde gleich auf Englisch gedreht – bis heute ein Klassiker, der auf DVD weite Verbreitung findet.

1963 erhielt The Cellar den Jugendfilmpreis in Berlin. Der Film erzählt in Rückblenden von einem deutschen Juden, der Dachau überlebte und nun in Tel Aviv mit seinen Erinnerungen zu kämpfen hat. Von einem ehemaligen NS-Verbrecher, der sich eine israelische Identität anlügt, handelt Stunde der Wahrheit (1964) mit Karlheinz Böhm, ein kontroverser Film, der leider in den Archiven verschwunden ist. Diesen Film konnte ich damals im Kibbuz sehen und werde nie vergessen, wie bis ins Morgengrauen auf der Kinowiese erhitzt über den Film, die Deutschen, unsere Identität und die Fragwürdigkeit einer Versöhnung diskutiert wurde.

Frauen Seit den 60er-Jahren nahm die Zusammenarbeit mit ausländischen Produzenten, vor allem den USA und Westdeutschland, zu. Die erste große Koproduktion mit Deutschland war Menachem Golans und Artur Brauners Spionage-Krimi Einer spielt falsch (1966) mit Marianne Koch, Hans von Borsody und Gila Almagor. Insbesondere Margot Klausner bemühte sich um Filmschaffende aus dem Ausland und um Themen, die die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, die jüdisch-arabischen Beziehungen und innerisraelische Konflikte ins Zentrum stellten.

Cast a Giant Shadow mit Kirk Douglas und Senta Berger wurde 1965 mit Beteiligung des Studios in Herzliya gedreht, Judith (1966) mit Sophia Loren unter der Regie von Daniel Mann erzählt von einer deutschen Jüdin im Kibbuz und einem Nazi, der aufseiten der Arabischen Legion kämpft. Sinaia (1962) visualisiert eine Episode aus dem Krieg von 1956, in dem es um die dramatisch-tragische Rettung eines Beduinenkindes geht. Die Komödie What A Gang (1963) nimmt sich auf unheroische Weise des Palmach, der Untergrundarmee, 1946 an, und Avi Nesher filmt 1978 mit The Troupe eine liebevoll-bissige Satire auf das Zahal-Musikensemble.

In Deutschland bekannt wurden vor allem die Komödien unter der Regie von Ephraim Kishon wie Sallah Shabati, Der Blaumilchkanal und HaShoter Azoulay. Ein filmischer Dauerbrenner wurde Eis am Stil (seit 1978), der sich, im aschkenasischen Milieu spielend, nur wenig von den sogenannten Burekas-Filmen – Komödien und Liebesdramen im sefardischen Milieu – unterschied. Leichte Unterhaltung, Eskapismus, Erwachsenwerden und Stadtfilme zwischen Komik, Drama und Krimi gehören über die Jahrzehnte genauso wie in jedem anderen Filmland zum israelischen Kino.

Hippies Seit Beginn der 60er produzierte Menachem Golan zahlreiche erfolgreiche Filme wie I Love You Rosa (1972) mit Michal Bat-Adam unter der Regie von Moshe Mizrahi. 1973 beteiligte sich das israelische Kino an der Berlinale mit Uri Zohars Peeping Toms, in dem der junge Sänger Arik Einstein einen der Tel Aviver Strandhippies darstellt.

Seit Yossi und Jagger (2002) von Eytan Fox nehmen Filme zu, die Dramen mit LGBT-Charakteren visualisieren und heute zum Mainstream gehören. Die cineastische Vielfalt, eine Art visuelles »Humschuka«, könnte Seiten füllen, seien es wundervolle Werke des Misrachi-Cinema wie Orange People (2014) von Hanna Azoulay-Hasfari oder Filme, die wie In Between (2016) von Maysaloun Hamoud hebräisch-arabische Realitäten zeigen, die inhaltlich weit über die gängigen Kriegsfilme hinausgehen.

Starke Frauenfiguren, sei es als kämpfende Pionierinnen, sei es als Schoa-Überlebende, als Schwestern in Anknüpfung an biblische Geschichten, als Frauen gefallener Soldaten, als Künstlerinnen wie Else-Lasker Schüler in Amos Gitais Berlin-Jerusalem (1989), als starker Misrachi-Charakter wie in vielen Filmen mit Ronit Elkabetz oder als feministisch orientierte Rabbinertochter in Avi Neshers The Secrets (2007), fordern seit Langem visuell überkommene Frauenbilder heraus. Dies ist auch ablesbar an der Zunahme von Filmen, die im religiös-orthodoxen Milieu spielen und sich vor allem dem Emanzipationsprozess zwischen Spiritualität und Feminismus widmen, wie Through the Wall (2016) von Rama Burshtein.

Migration Immer wieder wird der israelische Film neben aktuellen Auseinandersetzungen oder Visualisierungen der Spannung zwischen Israel und der Diaspora wie in Daniel Wachsmanns Transit (1980) durch Werke ergänzt, die die eigene Identität und Geschichte von der ersten Alija der 1880er-Jahre über die illegale Einwanderung unter den Briten bis zur marokkanischen, indischen, russischen und äthiopischen Alija behandeln.

Nach 1967 spielte der israelisch-palästinensische Konflikt zunehmend eine Rolle, wurden aufgrund der veränderten politischen Situation traditionelle Sichtweisen auf den Zionismus infrage gestellt. Filme von Assi Dayan wie Life According to Agfa (1992), Amos Gitais Kippur (2000), Udi Alonis Forgiveness (2006), Ari Folmans Waltz with Bashir (2008) oder der deutsch-israelisch-schweizerisch kofinanzierte Foxtrot (2017) führten und führen nach wie vor zu emotionalen Diskussionen und präsentieren oft extrem kritische Sichtweisen auf die israelische Gesellschaft.

Demgegenüber haben sich Filme wie Avanti Populo (1986) von Rafi Bukai oder Avi Neshers Turn Left at the End of the World (2004) als Dauerbrenner über Identität, militärische Konflikte, Kultur und Migration erwiesen. Dramatische Komödien wie Made in Israel (2001), eine Utopie, in der der letzte lebende Nazi von Syrien an Israel ausgeliefert wird, oder der aktuelle Filmhit Maktub (2017), in dem zwei Jerusalemer Kleingangster, die einen Terroranschlag überleben und ganz in der Tradition von Ernst Lubitsch zu durchaus kompetenten Engeln werden, sind Ausdruck einer cineastischen Vielfalt, in der Filmkunst nicht als Kino der Illusionen, sondern als ein Spiegel der Gesellschaft verstanden wird. Und das trifft auch auf israelische TV-Serien wie Shtisel oder Fauda zu.

In diesem Sinne ist das israelische Kino über seine Jugendjahre weit hinausgewachsen und lebt 70 Jahre nach der Staatsgründung von kreativen Visualisierungen einer Utopie, die trotz aller Probleme und Widersprüche fest in Gesellschaft und Kultur verankert ist. Der visuelle Zionismus in all seinen Schattierungen ist lebendiger denn je.

Der Autor ist Filmwissenschaftler und Direktor des Jüdischen Filmclubs Wien.

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