Wien um die vorige Jahrhundertwende: Zu den Elementen, die jene »Welt von gestern« (Stefan Zweig) in ihren Grundfesten erschütterten, obgleich sie aus ihrer Mitte stammten, gehörten die Musik Gustav Mahlers wie die Psychoanalyse Sigmund Freuds. Diese beendete mit der Erschließung des Unbewussten die Vorherrschaft des Rationalismus der Aufklärung, jene überbrückte die Kluft zwischen Spätromantik und Moderne und gab so dem Unbewussten tonale Gestalt. Freud und Mahler, beide jüdische Bürgersöhne mit Distanz zu ihrer Herkunft, bewegten sich in den gleichen Kreisen, hatten aber keinen engeren Kontakt. Ein einziges längeres Treffen ist aus dem Jahr 1910 überliefert und bildet den Anlass des Films Mahler auf der Couch, der diese Woche in den Kinos anläuft. »Dass es geschah, ist verbürgt. Wie es geschehen ist, haben wir erfunden«, setzt eine Schrifttafel gleich zu Beginn den Rahmen des Streifens und bekennt sich mutig zur Erfindung, zur fantastischen Fiktion über die historischen Fakten.
Ehedrama Der Komponist hatte den Psychoanalytiker um einen Termin gebeten. Er hatte erfahren, dass seine wesentlich jüngere Frau Alma, die Mutter seiner zwei kleinen Töchter, ihn mit dem jungen Architekten Walter Gropius betrogen hatte – eine tiefe innere Erschütterung war die Folge. In einem langen Gespräch, das über Rückblenden erzählt wird, geht Freud dem Betrug, der Eifersucht und der Vorgeschichte der Mahler-Ehe auf den Grund. Hieraus entwickelt sich en passant auch ein Duell der Köpfe, der sich so ähnlichen Antipoden Mahler und Freud.
Der Film glänzt in seiner imaginativen Kraft: Johannes Silberschneider scheint für den Mahler eine ebenso hervorragende und spannende Besetzung wie Karl Markovics für den Freud. Die heimliche Hauptperson aber ist die Frau: Großartig spielt Barbara Romaner Alma Mahler (1879-1964), geborene Schindler, später als Alma Mahler-Gropius-Werfel eine repräsentative Figur des 20. Jahrhunderts, von manchen verachtet als narzisstische Sammlerin berühmter Künstlermänner, von anderen geschätzt als Muse und Groupie avant la lettre sowie Autorin der spannenden Autobiografie Mein Leben von1963.
Bettgeschichte Auch Mahler auf der Couch ist ein Celebrity-Drama, dessen Wirkung darauf beruht, den Blick hinter die Kulissen, in diesem Fall unter die Bettdecke, zu ermöglichen. Regie führten Percy und Felix Adlon. Sie stützen sich über weite Passagen auf die dramatische Musik von Mahlers späten Symphonien. Der Film ist gedanklich facettenreich und witzig, die Bilder von Benedict Neuenfels kleiden die Geschehnisse in traumartige Atmosphären. Stilistisch hängt Mahler auf der Couch aber mitunter in den Stereotypen des Kostümkinos fest. Zudem wirkt das Werk in seinem postmodernen Stilmischmasch recht uneinheitlich: Zu den Rückblicken kommen über Augenzeugenberichte und Briefe pseudodokumentarische Passagen, in denen etwa Interviews mit Almas Mutter (Eva Mattes) und anderen geführt werden.
Nach seinem Gespräch mit Freud schrieb Mahler an Alma: »Interessante Unterhaltung«. Ein knappes Jahr später starb der Komponist mit gerade mal 51 Jahren.