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Artur Brauner

Ein Jahrhundertleben

»Ich habe eine Mission, und die erfülle ich auch. Das ist eine ungeheure Genugtuung für einen Menschen«: Artur Brauner Foto: Uwe Steinert

Es ist das Jahr 1955. In den Ateliers der CCC-Studios in Berlin-Spandau wird die Schmonzette Das Bad auf der Tenne gedreht. Der Produzent Artur Brauner hat für einen Tag die Kuh »Berta« gemietet. Und als der Dreh vorbei ist und der Eigentümer die Kuh wieder abholen will, bittet Brauner den Schauspieler Karl Schönböck, die Kuh zunächst noch zu melken.

Natürlich macht diese Geschichte sofort die Runde und gilt dem Nachrichtenmagazin »Spiegel« als ein weiterer Beleg für den gerne kolportierten »Sparfeldzug« Brauners. Aber was wissen die Journalisten schon?

Für Brauner ist »Berta« die Kuh seiner Träume; gerne hätte er sie behalten. Erinnerte sie ihn doch an jene Kuh, die ihm einst das Leben gerettet hatte. Damals, am dritten Tag seiner Flucht, als Brauner, von Hunger und Durst völlig entkräftet, am Rande eines Waldes jener einsamen Kuh begegnet war.

Flucht Vorsichtig und behutsam hatte er sich dem Tier genähert. »Ich will dir nichts tun. Ich will nur ein bisschen Milch. Bitte, bleib stehen«, so beschrieb er es nachher im Gespräch mit einem seiner Biografen. Die Kuh erlaubte es ihm. Vier Tage blieb Artur Brauner mit ihr zusammen. Er melkte sie. Sprach zu ihr. Bis er wieder bei Kräften war. Und dann setzte er seine Flucht alleine fort.

Es ist eine Geschichte, die viel über das zweite Leben von Artur Brauner erzählt – und wie sich dieser frühe Teil seiner Biografie auf den späteren auswirken sollte. Das erste Leben von Deutschlands berühmtestem Filmproduzenten begann am 1. August 1918 als Sohn von Moshé und Brana Brauner in Lodz. Moshé Brauner war ein erfolgreicher Holzgroßhändler. So konnte er es sich leisten, Mitte der 1920er-Jahre nach Palästina zu reisen und sich den Aufbau des Landes mit eigenen Augen anzusehen.

Von seiner Reise brachte Moshé nicht nur Erde aus Eretz Israel mit, sondern auch Geschichten von den Erfolgen der jüdischen Pioniere. Eines Tages, wünschte sich Moshé, sollten auch seine Kinder für einige Zeit nach Palästina, um den zionistischen Traum zu verwirklichen, Sümpfe trockenzulegen und Orangenhaine anzulegen.

Western Doch vorerst stillte Artur seinen Abenteuerdurst noch im Kino. So oft er konnte, sah er sich als Kind Western und Tarzan-Filme an. Schauspieler wollte Brauner werden. Seinen ersten tatsächlichen Ausflug in die Welt des Films unternahm er als junger Mann, als er die Gelegenheit erhielt, am Dreh eines Dokumentarfilms mitzuwirken. Zwar nicht in Palästina, aber immerhin in der Nähe, in Persien.

Sein Judentum ist Artur, der als Abraham Brauner geboren wurde, von klein auf völlig selbstverständlich. Jude zu sein, das bedeutet für ihn vor allem Tradition. Und Familiensinn. »Das Gebot, dass man die Eltern, Vater und Mutter, ehren soll, ist meines Erachtens das wichtigste«, sagt er noch heute.

Mehr noch: »Ich hätte jederzeit und ohne zu überlegen, wenn es erforderlich gewesen wäre, mein Leben für sie hergegeben, um sie zu retten.« Brauners persönlicher Mut und die Hilfsbereitschaft von ehemaligen Arbeitern des Vaters retteten Brauners Eltern und Geschwistern während des Holocaust das Leben. Doch 49 weitere Familienangehörige wurden ermordet.

Nach 1945 gingen die Eltern mit zwei der Kinder nach Israel. Brauner verschlug es nach Berlin. Dort gründete er im September 1946 die Central Cinema Comp.-Film GmbH (CCC). Von da an wollte Brauner kein Schauspieler mehr werden, sondern Filme produzieren. Und schon sein zweiter Film beweist, dass Brauner ein sehr ungewöhnlicher, weil engagierter Filmproduzent ist: Sein Film Morituri (1948) erzählt die – teilweise autobiografische – Geschichte einer Gruppe von KZ-Flüchtlingen, die sich in den Wäldern versteckt und tagtäglich um ihr Überleben kämpfen muss.

Israel Das deutsche Publikum wollte den Film nicht sehen. Und mehr noch: Es ging gegen das Werk teilweise sogar auf die Barrikaden. Als bei der Vorführung des Films Kinos demoliert wurden, nahm der Verleih Morituri aus dem Programm. Da Brauner sich durch den Boykott des Films hoch verschuldet hatte, war an eine baldige Auswanderung nach Israel nicht mehr zu denken.

Brauner und seine Ehefrau Maria mussten in Berlin bleiben, weiter Filme produzieren. Ein Glücksfall für Berlin. Und für »Atze«. »Ich kann mich in Israel nicht so entfalten wie hier«, erklärte er Jahrzehnte nach Morituri in einem Interview mit der Fotografin Herlinde Koelbl. »Hier kann ich alle Filme drehen, die mir wichtig erscheinen.«

Artur Brauner ist seiner selbstgestellten Aufgabe, Filme gegen das Vergessen zu machen, treu geblieben. Am deutschen Massengeschmack vorbei und ohne Rücksicht auf Verluste hat Brauner bis heute mehr als 20 Filme produziert, die den Holocaust zum Thema haben. Einer dieser Filme, Der Garten der Finzi Contini, wurde mit dem Oscar ausgezeichnet.

Romy Schneider wurde für die letzte Rolle ihres Lebens, als Die Spaziergängerin von Sans-Souci (1982), mit dem Darstellerpreis in Montreal ausgezeichnet. Hitlerjunge Salomon (1990) gewann den »Golden Globe«. Dass Hitlerjunge Salomon nicht den Oscar erhielt, lag wohl daran, dass die deutsche Auswahlkommission Brauners Film nicht nominieren wollte.

Schindler Fast wäre es Brauner sogar gelungen, die Geschichte Oskar Schindlers zu verfilmen: Die Bauten waren schon fertig, das Drehbuch ebenso. Doch dann fehlten Brauner die finanziellen Mittel, um den Film zu drehen. Neidlos erkennt er an, dass Spielbergs Schindler-Film »sehr, sehr gut« geworden ist. »Ich hätte so etwas nicht machen können! Ich habe ja keine 50 Millionen Dollar gehabt! Wie kann ich so etwas machen?« Dass die Gedenkstätte Yad Vashem Brauners Schoa-Filme in einer nach ihm benannten Mediathek zeigt, ist für ihn die »absolute Krönung« seiner Laufbahn als Filmproduzent.

Um seine Filme zur Geschichte der Schoa finanzieren zu können, musste Artur Brauner notgedrungen stets auch massentaugliche Streifen produzieren. Aber er wollte immer auch Filme machen, die sowohl anspruchsvoll als auch erfolgreich sind. Nur Brauner war es in den frühen Jahren der Bundesrepublik ein Anliegen, emigrierte Regisseure wie Fritz Lang und Robert Siodmak nach Deutschland zu holen. Oder etwa Filmschauspieler wie Peter van Eyck und Lilli Palmer.

»Atze« besitzt bis heute den Anspruch, an die legendäre Zeit des deutschen Films vor 1933 anzuknüpfen. Der Plan scheiterte natürlich, denn der deutsche Film hat sich bis heute nicht von dem Schlag erholt, den er 1933 erlitten hat. Der Geschmack des deutschen Massenpublikums auch nicht. Und die wenigen internationalen Stars des deutschsprachigen Kinos wie Curd Jürgens konnte sich Brauner nur selten leisten.

Schmonzetten Also machte Brauner Sternchen und Stars. Wie etwa Caterina Valente, Elke Sommer oder Senta Berger. Letztere entkam Brauners Kino-Schmonzetten schnell nach Hollywood, in die Arme von Charlton Heston und »Atzes« Freund Kirk Douglas. »Ein Filmproduzent«, knurrt Brauner, »der von seinen Stars, die er entdeckt hat, Dankbarkeit erwartet, ist selbst schuld.« Aber Brauner gab nie auf. Und so gelang es ihm mitunter doch, mit internationalen Filmstars wie Sean Connery oder Brigitte Bardot zu drehen.

Natürlich versuchte Brauner immer wieder, Projekte in Israel zu verwirklichen. So plante er 1963 einen Film über Hannah Szenes zu machen, die 1943 ihren Kibbuz verlassen hatte, um im Auftrag der Briten in Ungarn Widerstand zu leisten. Sie wurde gefasst und ermordet. Der amerikanische Ben-Gurion-Biograf Robert Saint John hatte bereits ein Drehbuch verfasst, und Brauner träumte davon, die Rolle der Heldin mit Susan Strasberg zu besetzen, Regie sollte der legendäre John Schlesinger führen.

Und dann wurde doch nichts aus dem Projekt. Immerhin gelang es Brauner und Menachem Golan, 1968 in Israel Tevje und seine sieben Töchter zu produzieren. Und 1974 entstand dort Brauners Sie sind frei, Dr. Korczak, mit Orna Porat und Leo Genn.

hitler Wenn Artur Brauner heute abends in Berlin-Grunewald spazieren geht, nimmt er seinen MP3-Player mit. Auf dem Gerät befinden sich 356 Lieder von Caterina Valente. Belanglose Schlager aus belanglosen Filmen, die eine bunte, flache und schattenlose Welt heraufbeschwören.

Doch Brauners kleine Fluchten in eine heile Welt helfen nicht immer. »Nachdem häufig Dokumentationen über die Nazi-Zeit gesendet werden und ich diese mit einer besonderen Passion verfolge«, so Brauner 2015 in einem Leserbrief, »träume ich beinahe jede Nacht von dem Versuch, Hitler zu töten. Anscheinend hat mein Haupthirn noch nicht erfasst, dass Hitler bereits tot ist. Eigenartigerweise werde ich immer wach, wenn ich in seiner Nähe stehe und ihn mit einem Ziegelstein erschlagen will. Die Versuche, durch Einnahme von Schlaftabletten oder Baldriantropfen ungestörte Nächte zu erreichen, schlugen bisher fehl.«

Die dunklen Schatten, die die NS-Zeit – er überlebte in der Sowjetunion auch nach der deutschen Besetzung unerkannt als Jude – auf sein Leben geworfen haben, sie sind bis heute da.

liebe Trotz allem muss man sich Artur Brauner als glücklichen Menschen vorstellen. »Ich habe eine Mission, und die erfülle ich auch. Das ist eine ungeheure Genugtuung für einen Menschen«, sagte er jüngst in einem Interview. »Alle Filme, die gemacht werden mussten, habe ich gemacht. Ich habe nichts ausgelassen.«

Auch privat hat »Berlins Sonnenkönig«, wie ihn der Boulevard gern nennt, erreicht, was ein Mensch nur erreichen kann. Über 70 Jahre lang war er mit seiner geliebten Frau Maria verheiratet. Wer die beiden je gemeinsam bei einer der vielen Filmpremieren der CCC erlebt hat, weiß: Es gibt sie, die wahre, ein Leben lang währende Liebe.

Masal tow und bis 120, Atze. Mindestens!

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