Was sind eigentlich »Jüdische Museen«? Dem Berliner Institut für Museumsforschung zufolge gibt es in Deutschland knapp 6800 Museen. Davon waren 2017 rund 15 Prozent sogenannte Kulturgeschichtliche Spezialmuseen, die sich zum Beispiel der »Kulturgeschichte, Religions- und Kirchengeschichte, Völkerkunde« widmeten. Wollte man die bei Wikipedia aufgezählten 28 »Jüdische Museen« in Deutschland in dieser Statistik verorten, würde das Format 2,7 Prozent der Kulturgeschichtlichen Spezialmuseen ausmachen.
Kontext Angesichts dieser Beschreibung wäre das Format keiner besonderen Erwähnung wert gewesen. Und dennoch, wie so oft im jüdischen Kontext, bekommen »Jüdische Museen« aufgrund der aktuellen Debatte viel Aufmerksamkeit.
»Jüdische Museen« beschäftigen sich verallgemeinert formuliert nach eigener Aussage mit der Präsentation und Vermittlung jüdischer Geschichte, Religion und Kultur. Sie sind unterschiedlich groß und haben verschiedene Schwerpunkte. Von kleinen Judaica-Sammlungen in alten ehemaligen Landsynagogen und archäologischen Ausgrabungsstätten bis hin zu modernen Ausstellungshäusern mit digitalen und virtuellen Präsentationsformen wie in Berlin, Frankfurt am Main und München ist alles dabei. Die Ausstellungskonzepte unterscheiden sich logischerweise deutlich voneinander. Auch der Bezug zur regionalen Geschichte wird von Haus zu Haus verschieden behandelt.
Konzept Kurzum: Die »Jüdischen Museen« sind – wie alle anderen Museen – vielfältig und autonom, und deren inhaltlichen Konzepte obliegen deren Direktionen und Kuratoren.
Wie viel Judentum muss in einem Jüdischen Museum stecken? Diese Frage ist zentral.
Nun ging Mitte des Monats ein Aufschrei durch die Presse. Was war geschehen? Das Jüdische Museum Berlin empfahl den Followern seines Twitter-Kanals einen taz-Artikel zu einer Petition von 240 »israelischen und jüdischen Wissenschaftlern« gegen den Bundestagsbeschluss zur antisemitischen und israelfeindlichen BDS als #mustread.
Der Vorwurf lautete daraufhin in etwa: Wie könne ein jüdisches Museum eine Position unterstützen, die die Vernichtung des Staates Israel verlangt? Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland äußerte sich zu diesem Tweet mit dem sinnträchtigen Hinweis, das Jüdische Museum Berlin habe das Vertrauen der jüdischen Gemeinschaft verspielt. Der Direktor des Museums, Peter Schäfer, ist im Zuge der Debatte zurückgetreten.
Die deutsche Sprache ist kompliziert. Trotzdem, oder gerade deswegen, ist sie sehr präzise. Adjektive werden im Deutschen klein geschrieben und sind deskriptive Begleiter eines Substantivs. Großgeschrieben gehören Adjektive zum feststehenden Ausdruck oder Namen. Demzufolge stellt sich die logische Frage: Sprechen wir im Kontext der Kulturgeschichtlichen Spezialmuseen mit einem inhaltlichen Bezug zum Judentum von »Jüdischen Museen« oder jüdischen Museen?
mesusot Aus welchem Grund hätte das Jüdische Museum Berlin »das Vertrauen der jüdischen Gemeinschaft« genießen sollen? Erwächst aus dem »Jüdisch« im Namen automatisch der Anspruch, dass diese Institution die jüdische Gemeinschaft vertritt? Wenn dies so wäre, handelte es sich tatsächlich um jüdische Museen.
Man würde erwarten, dass diese Institutionen eng mit den jüdischen Gemeinden vor Ort zusammenarbeiten, dass an Türrahmen Mesusot hängen, dass jüdische Feiertage nicht nur in Vitrinen ausgestellt, sondern auch begangen werden – und zwar gemeinsamen mit den Juden in der Stadt. Jüdische Kultur würde durch Interaktion von Juden und Nichtjuden vermittelt werden und nicht durch Ausstellungsdesign. Die Realität sieht dagegen leider anders aus.
Die »Jüdischen Museen« verfolgen – und dies zu konstatieren ist, Tacheles gesprochen, ein Armutszeugnis – selten das Ziel, auch dem lebendigen Judentum vor Ort Sichtbarkeit zu bieten und in ihr Programm zu integrieren. Stattdessen wird viel über Juden und jüdisches Leben gesprochen, allzuoft aber, ohne Juden selbst zu Wort kommen zu lassen und ihre Lebenswelt zu berücksichtigen. Es bleibt unverständlich, warum die Verbundenheit mit einer lebendigen jüdischen Gemeinschaft vor Ort normalerweise nicht intensiviert wird.
Gegenseite Für Folklore, »Frag den Rabbi«-Spielchen und humorvoll-harmlose Vorträge sowie Zeitzeugengespräche sind die Gemeinden hingegen ein gern gesehener Ansprechpartner. Gerne gerieren sich die Museen als Begegnungsräume oder Dialogforen. Die Juden werden aber nur dann als Teilnehmer eingeladen, um das nichtjüdische Gegenüber davon zu überzeugen, wie normal man sei. Eine institutionelle Mitsprache ist nicht gewünscht.
Die »Jüdischen Museen« in Deutschland sind leider keine jüdischen Museen und hatten diesen Anspruch auch nie verfolgt. Die Museen sind Hochburgen der Intellektualität und Wissenschaft, die oft Überreste einer vernichteten jüdischen Gemeinschaft verwahren und präsentieren. Die Erwartungen der jüdischen Gemeinschaft, diese Institutionen würden heute auch für die Interessen der Juden einstehen, sind berechtigt – wurden aber ohne Absprache mit der Gegenseite formuliert.
Die Frage, die nun diskutiert werden sollte, ist: Warum benötigen diese Museen das »Jüdische« in ihrem Titel? Sie vertreten die jüdische Gemeinschaft nicht, sprechen nicht in ihrem Namen, teilen weder ihre Sorgen noch Nöte. Das einzige, was sie mit den jüdischen Institutionen in Deutschland verbindet, sind die erhöhten Sicherheitsmaßnahmen am Eingang. Diese traurige Gemeinsamkeit zeichnet die Juden nur mal wieder als »besonders« aus. Und das, obwohl die wenigsten Mitarbeiter in den »Jüdischen Museen« jüdisch sind.
Eine institutionelle Mitsprache von Juden ist in vielen Jüdischen Museen nicht gewünscht.
So bitter es klingt: »Jüdische Museen« sollten sich nicht die Gegenwart als Thema vornehmen, wenn sie sich mit der heutigen jüdischen Gemeinschaft institutionell und inhaltlich nicht auseinandersetzen wollen. Aus diesem Grund sollten diese Museen sich auch nicht dazu berufen fühlen, über den Nahostkonflikt aufzuklären und auch keine Zuständigkeit für die Bekämpfung von Antisemitismus suggerieren. Schon gar nicht, so banal es klingt, eine israelfeindliche Bewegung hofieren.
Team Die Juden in Deutschland hingegen sollten nicht darauf angewiesen sein, von einem musealen Ausstellungsort präsentiert zu werden. Vielleicht lohnt es sich aber auch für beide Seiten, den hoch gelobten und viel zitierten deutsch-jüdischen Dialog nicht nur auf Publikumsebene, sondern auch in den Teams der Mitarbeiter sowie auf Führungsebene zu führen.
Die Autorin ist Kunsthistorikerin und Referentin für Kultur beim Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein.