»Jeder stirbt für sich allein«, lautet der Titel eines Romans, den Hans Fallada Ende 1946 schrieb, wenige Wochen vor seinem Tod. Er erzählt die wahre Geschichte der Eheleute Otto und Elise Hampel, die in der Nazi-Zeit literarisch aktiv waren - als Widerständler, die die Bevölkerung per ausgelegten Postkarten zum Widerstand aufriefen und 1943 in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurden. Fallada selbst hatte zwischen 1933 und 1945 ebenfalls in Deutschland gelebt und geschrieben - allerdings nicht gegen das System, sondern zumindest insoweit angepasst, dass seine Werke die offizielle Zensur passieren konnten.
Wie verhält sich der Fall Hampel zum Fall Fallada? Hat der Autor jenen Mut im Angesicht des Terrors, den er selbst nicht hatte, stellvertretend literarisch von zwei Antifaschisten ausagieren lassen? Schreibt er sich damit von der eigenen Schuld frei? Oder ist das Buch, ganz im Gegenteil, eine verkappte Selbstanklage? Fragen dieser Art widmet sich Anatol Regniers Buch »Jeder schreibt für sich allein« (2020) über Schriftsteller im nationalsozialistischen Deutschland. Im Anschluss an dieses Unternehmen hat Dominik Graf einen knapp dreistündigen Dokumentarfilm gedreht, in dem Regnier selbst eine zentrale, angenehme Präsenz hat. Arte zeigt den Film am 17. Februar ab 22.45 Uhr.
Über Deutschland und seine Geschichte
Neben dem Autor der Vorlage tauchen gelegentlich Schriftsteller und Intellektuelle der Gegenwart als Kommentatoren auf. Hauptsächlich entfaltet sich der Film jedoch in essayistischer Manier, im Zusammenspiel von mal eng am historischen Geschehen klebenden, mal assoziative Sprünge vollziehenden Voice-Over-Stimmen und disparatem Bild- und Bewegtbildmaterial.
Entstanden ist ein faszinierendes Monster von einem Film; sicher nicht einer der besten Dokumentarfilme von Graf, aber einer, der tief ins Innere des Werks eines Regisseurs zielt, der in fast jedem seiner Filme über Deutschland und seine Geschichte nachdenkt.
Es ist eine schwierige Aufgabe, die »Jeder schreibt für sich allein« stellt: Einerseits dürfe man, wie wiederholt betont wird, die Frage nach Schuld oder Unschuld nicht verabsolutieren; insbesondere müsse man sie historisieren, also stets mitbedenken, dass zu dem Zeitpunkt, als sich die Frage »emigrieren oder nicht?« stellte, niemand das ganze Ausmaß der kommenden Schrecken mit Sicherheit vorhersagen konnte. Andererseits möchte der Film keineswegs jene Lebenslügen perpetuieren, die viele Betroffene nach dem Krieg sich selbst und anderen erzählten.
Brutale Anfeindung
Mit fast allem könne man leben, nur nicht mit Schuld, heißt es an einer Stelle, weshalb viele derer, die nach 1933 in Deutschland geblieben sind, schon am Tag der Kapitulation damit begannen, sich zu überlegen, wie sie ihren eigenen Anteil daran wieder loswerden könnten. So wird verständlich, warum der exilierte Thomas Mann nach dem Krieg von den Daheimgebliebenen brutal angefeindet wurde, als er anzumerken wagte, dass sich die Verantwortung für die Verbrechen der Nazis nicht auf den engsten Kreis der Hitlergetreuen beschränke, sondern in mancher Hinsicht auf alles Deutsche abgefärbt habe. Und so ist auch die Karriere des Begriffs der »inneren Emigration« erklärbar, der in Grafs Film insbesondere vom Dichter Albert von Schirnding hart attackiert wird.
»Jeder schreibt für sich allein«: Der Titel ist durchaus Programm, und Grafs Film macht zu weiten Teilen nichts anderes, als geduldig aufzuzeigen, was das von Fall zu Fall heißt. Nicht wenige waren durchaus mit Feuer und Flamme dabei. Kaum jemand erinnert sich heute noch an literarische NS-Überzeugungstäter wie Will Vesper und Hanns Johst. Umso wichtiger, dass Grafs Film sie nicht unter den Tisch fallen lässt.
»Jeder schreibt für sich allein«, Regie: Dominik Graf. Arte, Mo 17.02., 22.45 - 01.35 Uhr. Mit Untertiteln für Hörgeschädigte.