Theater

Ein entlarvendes Spiel

Der Autor Maxim Biller stellt in einem Bühnenstück Opfer und Täter gegenüber

von Gerhard Haase-Hindenberg  23.02.2023 06:51 Uhr

Der Schriftsteller Maxim Biller wurde 1960 in Prag geboren. Foto: picture alliance / Swen Pförtner

Der Autor Maxim Biller stellt in einem Bühnenstück Opfer und Täter gegenüber

von Gerhard Haase-Hindenberg  23.02.2023 06:51 Uhr

Die Theaterbühne war bislang nur selten der Sehnsuchtsort des Autors Maxim Biller. Er reüssierte mit Essays, Reportagen und Romanen – weniger mit Dramatik. Eine exakte Genrebezeichnung steht auch nicht auf dem Manuskript unter dem Titel KIEN, das der S. Fischer Verlag derzeit den Dramaturgien zur Uraufführung anbietet.

Es handelt sich um einen Dialog in einem Fernsehstudio des NDR, weitgehend ohne theatralische Bildsprache. Der Text könnte auch als Hörspiel produziert werden, wenngleich mit unüberhörbarer Brisanz. Erst recht vor dem Hintergrund des Jahres 1964, in dem das Zwei-Personen-Stück spielt.

auschwitz-prozess In der westdeutschen Teil­republik ist dies jene Zeit gewesen, in der Schoa-Überlebende begannen, über ihre traumatischen Erlebnisse zu sprechen, und ihre Peiniger hier und dort gezwungen waren, sich der eigenen Vergangenheit zu stellen. Beim Frankfurter Auschwitz-Prozess etwa, der von 1963 bis 1965 stattfand (und mit milden Urteilen und Freisprüchen endete).

In dem Stück kommt ein jüdischer Gast in ein NDR-Fernsehstudio.

Der bekannte TV-Moderator Friedrich K. Friedrich hat den Schriftsteller Ulrich Kien in seine Sendung »Achtung Kultur« eingeladen. Dieser hat gerade mit einem Drama über Trotzki von sich reden gemacht.

DIALOG Darüber möchte sich Friedrich mit dem Studiogast unterhalten, auch über dessen Nominierung zum neuen Präsidenten der Darmstädter Deutschen Akademie der Sprache. Dass es nicht bei einer netten Plauderei bleiben würde, ahnt der Interviewer, als Kien ihm erklärt, was ihn an dem Posten in Darmstadt reizen würde. Die deutsche Sprache nämlich von den »Schweiß- und Blutflecken zu reinigen«.

Friedrich kennt die Biografie seines jüdischen Gastes, der einst als Adi Rosenstein aus der Tschechoslowakei vor den Nazis nach England geflüchtet war. Während des Gesprächs aber wird ihm klar, dass dieser offenbar auch seine Vergangenheit kennt. Es beginnt mit einer vermeintlich harmlosen Erzählung von einer jugendlichen Verliebtheit in ein jüdisches Mädchen damals in Prag. Wiedergesehen hat Kien es in einem Film über das Ghetto Theresienstadt, wo es Künstlern als Aktmodell zur Verfügung stand. Diesen Film, das weiß er, hat Friedrich im Auftrag der SS als Drehbuchautor betreut.

Friedrich versucht, Kiens Anspielungen auszuweichen, das Gespräch auf ein neues Theaterstück von Kien zu lenken, in dem ehemalige SS-Leute unter Bewachung in einer Villa zusammengesperrt sind. Beim Dialog der beiden Bühnenfiguren schwebt dem Dramatiker Maxim Biller offenbar ein aufgeregter Sprachrhythmus vor. Möglicherweise auch der Wunsch nach einer künstlerisch erzeugten Talkshow-Authentizität. Dabei schreibt er in Regieanweisungen exakt vor, bei welchem Wort im Satzfluss ein Dialog-Partner den anderen zu unterbrechen hat.

RECHTFERTIGUNG Immer wieder sieht sich Friedrich zu zweifelhaften Rechtfertigungen seines Verhaltens in der NS-Zeit veranlasst. Nervös bittet er die Studio­regie, diese Passagen herauszuschneiden. Auf die Frage, ob Kien über ihn richten wolle, formuliert dieser sein Interesse so: »Wie kommt ein gut erzogener Junge – Berlin-Wilmersdorf, Graues Kloster, Humboldt-Universität, Kunstgeschichte und Philosophie, jüngster Gerichtsreporter der 12-Uhr-Nachrichten, den es je gab! – … wieso dann dieser Aufstieg, wieso diese Reise ins Herz der Finsternis?«

Im zweiten Akt sind die beiden allein im Studio, kein Techniker ist mehr da, die Regie ist unbesetzt. Friedrich spielt nun das hinlänglich bekannte Spiel der Schuldumkehr. Er sei gezwungen worden, das jüdische Mädchen als Aktmodell in den Film hineinzuschreiben, weil sein Vorgesetzter sie nackt sehen wollte. Kien aber sei schuld, dass sie überhaupt nach Theresienstadt gekommen sei, weil er sie nicht ins Exil mitgenommen habe.

Noch hat die Uraufführung von »Kien« nicht stattgefunden.

Er hingegen, so Friedrich, habe an die Front gewollt, aber da Propagandaminister Joseph Goebbels ein Studienfreund des Vaters gewesen sei, den er mal vor einer Gruppe von Juden gerettet habe, sei er zu diesem Filmprojekt verpflichtet worden. Kien ein Täter und er ein unschuldiges Opfer? Nach dieser Logik wären die Juden allein durch ihre Existenz schuld an der Errichtung der Vernichtungslager.
Der dritte und letzte Akt spielt im Intendanz-Büro. Kien liegt leblos auf dem Schreibtisch. Offenbar ein Herzanfall, der sich schon am Ende des zweiten Aktes angekündigt hat.

MASKE Für den Rest des Theaterabends wird nur noch Friedrich zu hören sein. Angesichts des leblosen Kien zeigt dieser nun sein wahres Gesicht. Hinter der Maske des Demokraten erscheint das eines Nazis, der es sich in den bundesdeutschen Medien gemütlich gemacht hat. Namen stehen unausgesprochen im Raum: Werner Höfer, Horst Tappert, Martin Jente …

Die Bühnenfigur Friedrich erzählt, wie sie nach dem Krieg den Kontakt zum Chefredakteur einer neuen Zeitung fand: »… auch ein Emigrant, so ein kleiner dunkler Kerl, mit schütterem braunen Haar, das er sich über die Glatze kämmte, und einem unaussprechlichen galizischen Namen, den ich mir aus Trotz nicht gemerkt habe«. Das überraschende Stückende aber soll hier aus Fairness gegenüber dem Autor Maxim Biller nicht erzählt werden. Noch hat schließlich die Uraufführung nicht stattgefunden.

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